Das Gottesgrab
Wände zuerst waschen», sagte Augustin. «Ordentlich Wasser drauf. Jetzt sieht das Pigment zwar leblos aus, aber wenn es feucht ist, wird es wieder aufblühen. Glauben Sie mir.»
«Aber nicht zu viel Wasser», warnte Mansoor. «Und stellen Sie Ihre Lampen nicht zu nah an die Wände, sonst platzt der Putz durch die Hitze auf.»
Gaille schaute sich verzweifelt nach Elena um, die ihrem Blick geflissentlich auswich. Stattdessen leuchtete sie mit ihrer Taschenlampe auf eine Inschrift über dem Portal der Hauptkammer. «Akylos von den dreiunddreißig», übersetzte Augustin das antike Griechisch. Das Licht verschwand von der Inschrift, denn Elena hatte ihre Taschenlampe fallen lassen. Sie fluchte so heftig, dass Gaille sie erschrocken anschaute.
Ibrahim richtete seine Taschenlampe auf die Inschrift, damit Augustin die Inschrift vollständig übersetzen konnte. «Akylos von den dreiunddreißig», las er vor. «Dem Tapfersten ohne Vergleich, er ragte über all die andern.»
«Das ist Homer», murmelte Gaille. Alle drehten sich überrascht zu ihr um. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. «Es stammt aus der Ilias », sagte sie.
«Stimmt», sagte Augustin nickend. «Es geht um einen gewissen Glaukos, glaube ich.»
«Eigentlich kommt der Satz zweimal vor», sagte Gaille zaghaft. «Einmal bezieht er sich auf Glaukos, einmal auf Achilles.»
«Achilles, Akylos», meinte Ibrahim. «Offensichtlich war der Bestattete ziemlich von sich eingenommen.» Er starrte immer noch auf die Inschrift, als er Mohammed in die Hauptkammer folgte, sodass er über eine niedrige Stufe stolperte und auf allen vieren landete. Unter dem Lachen der anderen rappelte er sich wieder auf und klopfte sich mit der selbstverächtlichen Miene eines Tollpatsches den Staub ab.
Augustin ging zu dem Schild, der an der Wand hing. «Der Schild eines Hypastisten», sagte er. «Ein Schildknappe», erklärte er, als Ibrahim fragend die Stirn runzelte. «Alexanders Elitetruppen. Die großartigste Einheit kämpfender Männer in der erfolgreichsten Armee der Weltgeschichte. Vielleicht war er doch nicht so überheblich.»
II
Die Morgensonne schien Knox ins Gesicht, als er auf Augustins Sofa liegend versuchte, etwas Schlaf nachzuholen. Er stöhnte und drehte der Sonne den Rücken zu, doch es half nichts. Es war bereits zu schwül. Widerwillig stand er auf, duschte und durchforstete Augustins Zimmer nach etwas zum Anziehen. Dann mahlte er Kaffeebohnen, schaltete die Kaffeemaschine an und schmierte Butter und Erdbeerkonfitüre auf ein Croissant. Gierig schlang Knox es hinunter, während er durch die Wohnung schlenderte und nach einer Möglichkeit suchte, sich abzulenken. Das ägyptische Fernsehen war ohnehin grauenhaft, aber auf dem flackernden Bildschirm von Augustins tragbarem Fernseher war es völlig unerträglich. Und außer alten Zeitungen und ein paar Comics gab es nichts zu lesen. In dieser Wohnung hielt man sich nicht lange auf. In dieser Wohnung schlief man nur, und wahrscheinlich selten allein.
Er ging hinaus auf den Balkon. Gleichförmige Hochhäuser, wohin man auch schaute, alle in dem gleichen, bedrückenden Beige, auf jedem Balkon Wäsche zum Trocknen und die allgegenwärtigen grauen Schüsseln, die wie Gläubige nach Mekka auf ihren Satelliten ausgerichtet waren. Trotzdem war er froh, hier zu sein. Nur wenige Ägyptologen würden es offen zugeben, aber sie alle verachteten Alexandria. Sie betrachteten die griechisch-römische Epoche nicht einmal als Teil der ägyptischen Geschichte. Doch Knox sah das anders. Für ihn war es Ägyptens goldenes Zeitalter und Alexandria die goldene Stadt. Vor zweitausend Jahren war sie die bedeutendste Metropole der Welt gewesen und hatte die gescheitesten Köpfe der Antike angezogen. Archimedes hatte hier studiert, ebenso Galen und Origenes. Die Septuaginta , die älteste griechische Übersetzung des Alten Testaments, war hier entstanden. Euklid hatte hier seine berühmten Werke veröffentlicht. Der Name Chemie stammte von hier; Al Khemia war der schwarze Teil Ägyptens, und die Alchemie die ägyptische Kunst. Aristarchos hatte hier als Erster das heliozentrische Weltsystem vertreten, weit über ein Jahrtausend, bevor es von Kopernikus wieder entdeckt wurde. Eratosthenes hatte hier fast exakt den Erdumfang aus der bekannten Länge der Strecke von Alexandria nach Syene, gut 850 Kilometer im Süden, und dem Einfallswinkel der Sonnenstrahlen bestimmt. Welch eine Vorstellungskraft! Welch intellektuelle Neugier
Weitere Kostenlose Bücher