Das Gottesgrab
entschieden? Haben Sie das schon entschieden, bevor wir die Tests haben machen lassen? So ist es, nicht wahr? Warum haben Sie uns das nicht gleich gesagt? Warum haben Sie uns das alles durchmachen lassen?»
«Sie irren sich», sagte Rafai. «Die endgültige Entscheidung haben wir erst …»
«Kann ich noch etwas tun?», flehte Mohammed. «Noch irgendetwas? Ich bitte Sie. Sie können das nicht machen.»
«Tut mir leid.» Er lächelte ausdruckslos. Das Gespräch war beendet.
Bisher hatte Mohammed nie verstanden, wie jemand mit Selbstmord drohen konnte, was man gemeinhin als Hilfeschrei bezeichnete. Aber in diesem Moment wurde ihm klar, dass es tatsächlich Situationen im Leben gab, die so schwierig waren, dass man vor ihnen zurückschreckte und zu einer Verzweiflungstat getrieben wurde. Er konnte Nur und Layla diese Nachricht nicht überbringen. Es überstieg seine Kräfte. Und deshalb packte er Rafai am Kragen seines Jacketts und knallte ihn gegen die Wand des Büros.
III
Die Reise nach Siwa bereitete Gaille kaum auf das vor, was sie in der Oase erwarten sollte. Es war eine siebenstündige Fahrt entlang der ebenen, trostlosen und dicht bebauten Mittelmeerküste und dann südlich durch die flache und leere Wüste, in der man kilometerweit nichts sah außer gelegentlich eine Tankstelle oder eine Herde wilder Kamele. Doch schließlich kamen sie auf eine Anhöhe, und die unbarmherzige Leere wich plötzlich funkelnden weißen Salzseen und üppigen grünen Obstgärten. Als sie auf den Marktplatz von Siwa fuhren, rief ein Muezzin zum Gebet, und die Sonne verschwand hinter den dunklen Ruinen der alten Befestigungsanlage von Shali. Gaille kurbelte ihr Fenster herunter und holte tief Luft. Ihre Laune wurde besser. Die Straßen waren breit und staubig, der Autoverkehr spärlich. Die Menschen gingen zu Fuß, fuhren mit dem Rad oder auf Eselskarren. Nach der Hektik von Alexandria war es herrlich gemächlich und ruhig in der kleinen Stadt. Siwa lag tatsächlich am Ende der Straße. Dahinter kam nichts als die große Sandwüste.
Sie checkten in einem Hotel inmitten eines Dattelpalmengartens ein. Ihre Zimmer waren frisch gestrichen und sauber, die Fenster funkelten und die Bäder blitzten. Gaille duschte und zog frische Sachen an, dann klopfte Elena an ihre Tür, und sie gingen los, um Dr. Aly Sayed aufzusuchen, den Repräsentanten der Antiquitätenbehörde in Siwa.
IV
Knox und Rick zogen ihre Köpfe ein, als am Abend einer der Lastwagen davonfuhr und seine Scheinwerfer über die Baumgruppe strichen, in der sie sich mit dem Subaru versteckt hatten. Nach einem Tag Schlaf waren nicht nur Knox’ Batterien wieder aufgeladen, sondern auch die seines Laptops. Kaum war der Lastwagen an ihnen vorbeigefahren, klappte er ihn wieder auf und betrachtete die Papyri von Mallawi.
«Ich glaube, der andere ist schon weg», sagte Rick. «Im Dunkeln können sie nicht arbeiten.»
«Warten wir sicherheitshalber noch zehn Minuten.»
Rick verzog das Gesicht, entgegnete aber nichts. «Wie kommst du voran?», fragte er.
«Ganz gut.» Sein Laptop war alt, und der Bildschirm hatte eine schwache Auflösung. Die Fotos waren zum Katalogisieren aufgenommen worden, nicht zur Entzifferung. Die Belichtung variierte, um es milde auszudrücken. Die meisten Papyri waren völlig unleserlich. Dennoch konnte er hin und wieder Worte oder sogar Sätze erkennen. Häufig waren die Formulierungen absichtlich vage, wie ‹und dann passierte etwas, was mich nach Mallawi brachte›. An anderen Stellen bezog sich der Autor wiederholt auf ‹den Erleuchteten›, ‹den Träger der Wahrheit›, ‹den Wissenden› oder ‹den Geheimnisträger›. Und an wieder anderen Stellen … «Ich habe keine Ahnung, wer das geschrieben hat», sagte Knox zu Rick, «aber er schien wenig Respekt vor der Obrigkeit zu haben.»
«Wie meinst du das?»
«Die ptolemäischen Pharaonen wurden alle Ptolemäus genannt, deswegen unterschieden sie sich durch Kultnamen voneinander. Der erste Ptolemäus wurde zum Beispiel Soter genannt, das griechische Wort für Retter. Aber hier wird er Sotades genannt.»
«Sotades?»
«Ein skurriler griechischer Dichter und Dramatiker der Alexanderzeit. Er schrieb eine Menge homoerotische Verse und erfand das Palindrom, bekam dann aber Schwierigkeiten, weil er sich über Ptolemäus II. Philadelphos lustig machte, der seine Schwester heiratete. Übrigens bedeutet Philadelphos eigentlich ‹Schwesternliebhaber›, hier wird er aber
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