Das Gottesmahl
hatte Anthony van Horne nicht hereinkommen gehört, aber
er war da, bekleidet mit einem grünen Rollkragenpullover und
einer ausgefransten, orangefarbenen Strickmütze. Es fuhr Cassie
regelrecht in die Glieder, daß er sich rasiert hatte. Glatt
glänzte sein Kinn im hellen Neonlicht, das Kinngrübchen
lachte sie an.
»Ich befasse mich damit bloß aus Heimweh«,
antwortete Cassie, stach den Zirkel in die Nordsee. »Bis
Kvitöi sind’s nur noch rund vier Tage, hab ich
errechnet.« Mit den Händen rieb sie sich die Arme.
»Wenn der blöde Ofen doch mehr Wärme
abgäbe…«
Anthony zog die Mütze vom Kopf. »Es gibt
Abhilfe.«
»Gegen Heimweh?«
»Gegen das Frieren.«
Er spreizte die Arme, als öffneten sich die
Türflügel einer besonders freundlich-gemütlichen
Kneipe, und Cassie umarmte ihn, schmiegte sich mit nervösem
Auflachen an seine wollige Brust. Er rieb ihr den Rücken, sein
Handteller beschrieb langsam zwischen ihre Schulterblättern
spürbare Spiralen. »Sie haben sich rasiert.«
»Hm-hmm. Wird Ihnen schon wärmer?«
»Können Sie ’n Geheimnis für sich
behalten?«
»Soll ab und zu schon geklappt haben.«
»Der Vatikan hat uns neue Order geschickt. Wir sollen
umdrehen und nach Süden fahren.«
»Süden?« Panik durchjagte Cassie. Sie klammerte
sich fester an van Horne.
»Wir sollen uns im Golf von Cádiz mit der SS Karpag
Maracaibo treffen. Sie hat Formaldehyd in den
Frachttanks.«
»Aber die Engel wollten doch«, rief Cassie in
Erinnerung, »daß er eingefroren wird, nicht
einbalsamiert.«
»Genau darum bleiben wir auf Kurs.«
»Ach…« Cassie lockerte sich, frohlockte bei sich,
schlug im Geist Purzelbäume. Bleiben auf Kurs. Wunderbar,
richtig so, geradewegs auf Kurs in den Rachen der
Aufklärung.
Van Horne küßte sie mit zarter Sachtheit auf die Wange:
gab ihr einen brüderlichen, keinen erotischen Kuß. Danach
ihre Stirn und die Augen; auf das Kinn, aufs Ohr, noch einmal auf die
Wange. Ihre Lippen berührten sich. Sie wich zurück.
»Das ist keine gute Idee.«
»Doch«, widersprach van Horne, »ich finde sie
gut.«
»Ja, eigentlich schon«, stimmte sie zu.
Und plötzlich lagen sie sich wieder in den Armen,
drückten sich, verklammerten sich voller Leidenschaft. Begierig
küßten sie sich mit weit offenen Mündern, als wollten
sie sich gegenseitig verschlingen. Cassie schloß die Lider,
schwelgte in der Feuchtigkeit seiner Zunge: Sie glich einer
eigenständigen Lebensform, dem Exemplar einer erstaunlich
sinnlichen Gattung Aal.
»Also, man kann den Ofen stärker erhitzen«, sagte
der Kapitän, indem er sich von ihr löste.
»Erhitzen …«, wiederholte Cassie, hielt den
Atem an.
Van Horne kauerte sich vor den Ofen und erhöhte die
Brennstoffzufuhr, bis die Flamme mit voller Kraft rot loderte, wie
eine Art von Zimmernordlicht waberte. Er öffnete die Schublade
mit der Beschriftung INDISCHER OZEAN, zerrte eine große,
eingeschweißte Karte heraus und breitete sie wie eine
Picknickdecke auf dem Fußboden aus. »Madagaskar ist
dafür am besten geeignet«, behauptete er, zwinkerte Cassie
zu. Allmählich erwärmte sich der Kartenraum auf geradezu
wollüstige Weise.
»Irrtum«, erwiderte Cassie neckisch, streifte den Parka
ab. Sie durchsuchte die Schublade mit der Aufschrift Sulu-See und
nahm eine Karte der Philippinen heraus. »Palawan ist viel
geiler.« Sie ließ die Karte los, und sie segelte zu Boden,
als landete ein Fliegender Teppich im Bagdad des 13.
Jahrhunderts.
»O nein, Doktor.« Van Horne wühlte in der Schublade
mit dem Schild FRANZ.-POLYNESIEN und entfernte daraus die Karte des
Tuamotu-Archipels. »Ich bin für Puka-Puka.«
»Wir nehmen die hier.« Cassie kicherte, ihr Puls raste,
während sie eine Karte die Mallorca-Karte aus der
BALEAREN-Schublade holte.
»Nein, lieber Java.«
»Sulawesi.«
»Sumatra.«
»Neu-Guinea.«
Sie schlossen die Tür ab, schalteten die Deckenbeleuchtung
aus und legten sich auf das Sammelsurium verstreuter Gestade. Cassie
entblößte den Hals; van Hornes Lippen tasteten an ihrer
Kehle entlang, bedeckten sie mit Küssen. Sie stöhnten beide
gedämpft vor sich hin, während sie sich und einander
auszogen, dabei durch die warmen Gewässer des Guatemala-Grabens
zu den Cayman-Inseln wälzten. Die Leselampe warf schroffe
Schatten auf Anthonys van Hornes haarige Beine und affenartige Brust.
Als sie in der Bahia de Alculdi lagen, reizte sie seinen Vordersteven
mit dem Mund, stachelte ihn zu voller Stärke auf, bis er der
Galionsfigur einer großen
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