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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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ihn?«
    »Seeräuber-Jenny.«
    »Lassen Sie ihn hier«, sagte Anthony, erwiderte
Seeräuber-Jennys starren Blick. Plötzlich wurde ihm mulmig
zumute. Er schloß nicht aus, daß der Papagei gleich etwas
Sarkastisches oder eine Gemeinheit von sich gab, vielleicht Der
Käpten is vonne Brücke gegangen oder Anthony macht
Havarie.
    Als O’Connor sich zum Gehen wandte, krächzte
Seeräuber-Jenny, äußerte jedoch kein
verständliches Wort. »Mir ist langweilig«, bekannte
der Maschinist, zögerte auf der Schwelle. Er drehte sich nach
Anthony um und schnitt eine mürrische Miene, furchte dabei die
Verbrühung auf seiner Stirn. »Sämtliche Kessel auf
diesem Kahn werden von Computern überwacht. Ich habe praktisch nichts zu tun.«
    »Tja, die Valparaíso war ’ne
störrische Braut, schwierig zu steuern.«
    »Ich weiß. Ich wünschte, wir hätten sie
noch.«
    »Ich auch, O’Connor. Mir wäre sie auch viel lieber.
Vielen Dank für den Vogel.«
    Am 21. September erschien am Horizont eine neue Abart von
Eismassen, trieb mit der Ostgrönland-Strömung nach
Süden: Gletscherbruchstücke von solchen Ausmaßen,
daß die Eisberge im Gebiet der Jan-Mayen-Insel dagegen
Maulwurfshügeln glichen. Nach Angaben des Marisat-Computers war
die Maracaibo keinen Tag mehr vom Bestimmungsort entfernt,
aber die Aussicht aufs baldige Ende der Fahrt bereitete Anthony kein
Vergnügen. Acht Menschen waren umgekommen; die Valparaíso ruhte auf dem Grund des
Grönland-Beckens; Gottes Gehirn war Matsch; und sein Vater
konnte keine Erlösungsworte mehr sprechen. Zudem bestand die
Gefahr, daß inzwischen eine Armada des Vatikans in der Gruft
vor Anker lag und auf die Gelegenheit wartete, ihn des Schleppguts zu
berauben.
    »Froggy liebt Tiffany.«
    Anthony massierte Cassie gerade den Rücken, drückte die
Handteller auf ihr reizvolles Fleisch, die wie Bremsschwellen
aneinandergereihten Wirbel, und im ersten Augenblick glaubte er, sie
hätte den leisen, heiseren Ausruf ausgestoßen.
    »Was?«
    »Froggy liebt Tiffany«, wiederholte der rote Ara.
»Froggy liebt Tiffany.«
    Da war es also wieder soweit; erneut spielte das Universum Anthony
einen abscheulichen Streich. Froggy liebt Tiffany.
    Anthony bezähmte ein irres Kichern. »Das ist ja ein
wahres Meisterstück, meinst du nicht auch?«
    »Meisterstück?« fragte Cassie. »Wovon redest
du?«
    »Ein beispiellos abgefeimtes Meisterwerk der Bosheit. Jetzt
ist der alte Schuft tot und nimmt mir trotzdem noch immer die
Geschenke weg, die er mir selber gemacht hat.«
    »Ach, nun hör aber mal auf, dein Vater wollte damit doch
keine Gehässigkeit gegen dich begehen. Mangione war nicht
klar, daß der Papagei für Tiffany sein sollte, sonst
nichts. Dahinter steckt keine Bösartigkeit.«
    »Glaubst du?«
    »Herr im Himmel, ja.«
    »Ich muß gestehen, ich bin sogar ziemlich
beeindruckt«, gab Anthony zu, hatte vor Augen, wie sein Alter
stunden-, stundenlang im Maschinenraum gesessen und dem Papagei diese
fünf Silben ins Gedächtnis getrichtert haben mußte.
»Du mußt dir mal vorstellen, wie oft er es vorgesagt hat.
Immer, immer wieder…«
    »Vielleicht hat er’s ’n Matrosen machen
lassen.«
    »Nein, mein Vater hat’s selbst erledigt, da bin ich mir
sicher. Er hat diese Frau geliebt. Meine Güte, immer, immer,
immer wieder…«
    »Froggy liebt Tiffany«, krächzte
Seeräuber-Jenny.
    »Cassie liebt Anthony«, sagte Cassandra Fowler.
    »Anthony liebt Cassie«, antwortete Anthony van
Horne.
     
    22. September
    Wir sind an der Herbst-Tagundnachtgleiche. Heute im Jahre 1789, so
kann man in meinem Handelsmarine-Taschenkalender nachlesen,
»fuhren Fletcher Christian und seine Mannschaft« –
fünf Monate nach der Meuterei auf der HMS Bounty – »von Tahiti aus zum letztenmal auf die Suche nach einer
unbewohnten Insel, auf der sich ihnen die Möglichkeit zum
Ansiedeln bot.«
    Mr. Christian hätte es schlußendlich wahrhaftig
wesentlich schlechter treffen können, er entdeckte ja die
Pitcairn-Insel. Zum Beispiel, wenn es ihn nach Kvitöi
verschlagen hätte, den mit Sicherheit trostlosesten,
ödesten und kältesten Ort, der sich südlich vom
Klohäuschen des Weihnachtsmanns finden läßt.
    Um 9 Uhr 20 sind wir in Sichtweite der Koordinaten gelangt, die
Raphael mir in den Manhattaner Cloisters genannt hat –
80°6’N, 34°3’O –, und tatsächlich, da
ragte sie aus dem Meer, die Titanengruft. Der Eisriese, der am Sockel
einen Durchmesser von beinahe 30 km und eine Höhe von ca.
8000 m aufweist (und damit, wie

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