Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
Dolores Haycox erwähnte,
annähernd so hoch wie der Mount Everest ist), steht zwischen der
menschen- und leblosen Insel und dem, was auf den Karten als
›unbefahrbares Polareis‹ bezeichnet wird. Während wir
auf den Koloß zuhielten, uns mit einer Geschwindigkeit von 5
Knoten zwischen den kleineren Eisbergen hindurchschlängelten,
versammelte sich die Besatzung spontan fast vollständig auf dem
Wetterdeck. Ungefähr die Hälfte der Seeleute bekreuzigte
sich, die Mehrzahl fiel sogar auf die Knie. Der Schatten des
Berggrabs fiel aufs Wasser wie ein Ölteppich, verdunkelte unsere
Fahrtrichtung. Unmittelbar darüber umgab ein schimmernder
Goldring die Sonne, ein Phänomen, das Ockham dazu bewog, sich
hinter die Sprechanlage zu klemmen und zu erläutern, daß
wir ›einen Nebensonnenkreis, durch in der Luft schwebende
Eiskristalle gekrümmte Lichtstrahlen‹ sahen. Danach sind
auch die ›kleinen Halos‹ sichtbar geworden,
glasgrünliche Glanzlichter beiderseits des Leuchtrings, wo die
Eispartikel ›wie Millionen winzigkleiner Spiegel‹
wirkten.
    Die Teerjacken haben in dieser Situation jedoch gar keinen Wert
auf die wissenschaftlich-physikalischen Erläuterungen des Paters
gelegt, und ich hatte daran, muß ich sagen, ebenfalls kein
Interesse. An diesem Morgen, Popeye, hatte die Sonne für uns
einen Heiligenschein.
    Stundenlang kreuzten wir an der Westseite des Bergriesen,
erkundeten und erforschten die Steilwände aus Eis, suchten den
Zugang, und um 11 Uhr 05 haben wir dann tatsächlich ein
trapezförmiges Portal gesichtet. Wir haben backbords um 15°
beigedreht, auf 3 Knoten Geschwindigkeit verlangsamt und sind
hineingedampft. Die Engel verstanden etwas von Mathematik, Popeye,
ihre Berechnungen sind auf den Punkt genau gewesen. Unser Schleppgut
paßte mit einem Abstand von kaum 5 m an jeder Hand und
kaum mehr an lichter Höhe überm Brustkorb durch das
Portal.
    Drinnen sind wir mit der Maracaibo tiefer ins Innere des
Bergs vorgedrungen. Auf dem spiraligen Kurs schweiften die Lichtkegel
unserer Suchscheinwerfer fortwährend hin und her. 20 Seemeilen
weit folgten wir dem Verlauf des von senkrecht-glatten Wänden
gesäumten, unablässig gewundenen Stollen. Es schien, als
führen wir durch die Windungen eines gigantischen
Schneckengehäuses. Dann war es endlich soweit: Wir fuhren in die
am Mittelpunkt gelegene Gruft, deren silbrige Wände sich in
einer Deckenhöhe, die die Reichweite der Scheinwerfer
übertraf, zu einem Kuppelgewölbe vereinten.
    Uns hat keine vatikanische Armada aufgelauert. Natürlich ist
es möglich, daß Rom uns doch noch in die Quere kommt;
vielleicht sammeln sich draußen die Schiffe des Vatikans,
während ich diese Zeilen schreibe, sperren die Ausfahrt. Aber im
Moment ist es uns gewährt, unsere Aufgabe ungestört zu
erfüllen.
    Schließlich erblickten wir voraus ein meilenlanges
Eisplateau, gegen das dunkle Wellen schwappten. Seine Fläche
erstreckte sich in fast der gleichen Höhe wie unser Schanzkleid,
und als ich die aus Eis geformten Belegpoller glitzern sah, war mir
auf Anhieb klar, daß die Engel für uns einen Kai
vorbereitet hatten.
    Um 14 Uhr 50 schickte ich ein halbes Dutzend Matrosen mit dem
Motorboot hinüber. Ohne Schwierigkeiten haben sie die
Vertäuleinen aufgefangen und festgemacht. Allerdings ist es
trotzdem eine heikle Sache gewesen, die Maracaibo an das
eisige Ufer zu bugsieren: Trügerische Schatten,
irreführende Echos und eine Menge Treibeisbrocken erschwerten
die Arbeit. Aber um 15 Uhr 35 hatten wir die störrische Maid
verzurrt und – erstmals seit dem Auslaufen in Palermo –
beide Motoren abgestellt.
    Anschließend habe ich eine unverzügliche Seebestattung
angeordnet. Cassie, Ockham und ich sind über den Laufsteg zum
Vordeck gelatscht, haben uns aus dem nächstbesten Rettungsboot
einen Anker besorgt, den Seesack mit Wurfhaken aufgehoben und meinen
armen Alten ans Steuerbord-Schanzkleid befördert.
    »Mir ist nicht recht geläufig, wie niederländische
Presbyterianer dabei vorgehen«, hat Ockham gesagt und aus dem
Parka eine King-James-Bibel gezückt, die autorisierte englische
Bibelfassung. »Aber ich weiß, daß sie gerne diese
Übersetzung verwenden.«
    Ich habe die Zugschnur geöffnet und den deformierten,
bleichen Leichnam meines Vaters herausgeholt. Er war steinhart
gefroren. »Ein Özipapa«, mußte ich unbedingt
murmeln, so daß Cassie mir einen Blick zuwarf, in dem ich
Anstoßnahme, aber auch Belustigung lesen konnte.
    Pater Ockham hat den Ersten

Weitere Kostenlose Bücher