Das Gottesmahl
divera
chireutei…« Der Ruhm Gottes, dessen Wille die Welt
schuf, sei gepriesen, gelobt sei sein heiliger Name…
Cassie Fowler schlenderte zu Neil und wies mit dem Daumen auf die
Andenkensammlung. »Gottes ausgeklügeltste
Knüller.«
»Sie sind nicht besonders religiös, oder?«
»Er mag ja unser Schöpfer gewesen sein«, antwortete
Fowler, »aber irgendwie war er auch ein gefährlicher
Irrer.«
»Er mag vielleicht etwas ähnliches wie ein
gefährlicher Irrer gewesen sein«, entgegnete Neil,
»aber er war auch unser Schöpfer.«
Als Neil den Altar gewahrte – eine lange, niedrige Eistafel
unter dem Blauwal –, verspürte er das
überwältigend starke Bedürfnis, ihn zu benutzen. Und
er stand mit diesem Wunsch nicht allein. In feierlicher Stimmung
kehrten Offiziere und Besatzung über die Laufplanke auf den
Tanker zurück und gingen im Verlauf der folgenden zwanzig
Minuten mit Opfergaben wieder von Bord. Nacheinander traten die
Mitglieder der Decksbesatzung vor den Altar, und bald hatten sich auf
der Platte allerlei Darbringungen angehäuft: eine
Yamaha-Stahlgitarre, eine Bahnangestellten-Taschenuhr am
Goldkettchen, ein Sony-Walkman, ein Taschenrechner von Texas
Instruments, ein Päckchen Qualitätskondome (die teure Marke
Shostak-Supremat), eine silberne Whiskey-Taschenflasche, ein
fünfsaitiges Banjo, einen Trinkbecher mit aufgedrucktem Mr.
Spock, drei Flaschen Wicküler, eine Gürtelschnalle in Form
eines Klippers.
Eine beunruhigende Wahrheit dämmerte Neil, während er
beobachtete, wie James Schreiender Falke seine 35-mm-Nikon-Kamera
opferte. Irgendwann in den kommenden Jahren mochte es geschehen,
daß Neil, wenn er seinem Gott der Vieruhrwache voller Zuneigung
treu blieb, einen Hang zur Selbstgefälligkeit entwickelte. Indem
er der kleinen Schwester Joe Spicers des Langen ein Abendkleid
für den Schulabschlußball spendierte oder Leo Zooks Vater
eine Hüftoperation bezahlte, konnte er möglicherweise
inneren Frieden finden. Und in dem Moment, wenn es soweit war, im
Augenblick der Beschwichtigung seines schlechten Gewissens,
würde ihm klar sein, daß er zuwenig tat.
Anthony van Horne stapfte zum Altar und stellte darauf –
allerdings mit einem zittrigen Zaudern – ein Replikat des
Bowditch-Sextanten ab, das sicherlich fünfhundert Dollar
gekostet hatte. Sam Follingsbee brachte einen Kasten aus poliertem
Walnußholz dar, in dem Ginsu-Messer aus rostfreiem Stahl
verwahrt lagen. Als nächster kam Pater Thomas an die Reihe,
dessen Opfer einen mit Edelsteinen besetzten Meßkelch und ein
silbernes Ziborium umfaßten, und nach ihm Schwester Miriam, die
einen Rosenkranz aus goldenen Perlen aus dem Parka klaubte und auf
den Stapel der Abschiedsgeschenke drapierte. Marbles Rafferty
fügte ein Minolta-Fernglas mit starker Vergrößerung
hinzu, Crock O’Connor eine Garnitur Knipex-Rohrzangen, Lianne
Bliss ihren Kristallanhänger.
»Ich habe nachgedacht«, sagte Cassie Fowler.
Neil langte in die Wollhose und holte seine Gabe heraus. »Veimeru: amein«, sagte er leise. Und laßt uns
sprechen: Amen. »So, Miss Fowler?«
»Sie haben recht. Egal was sonst passiert ist, wir stehen in
seiner Schuld. Ich wollte, ich hätte auch ein Opfergeschenk.
Leider hatte ich, als ich geborgen wurde, nichts als einen
Elvis-Presley-Gedächtnisbierkrug und ein Dolly-Buster-Badetuch
dabei.«
Neil schob die Ben-Gurion-Medaille seines Opas auf den Altar.
»Warum schenken Sie ihm«, fragte er, »nicht einfach
Ihre Dankbarkeit?«
In Gottes Privatgruft, fiel Cassie Fowler binnen kurzem auf,
existierte keine Zeit. Keine Gezeiten kündeten die
Dämmerung an, keinerlei Sterne das Abenddunkel; keine Vögel
sangen zum Tagesanbruch. Nur durch einen Blick auf die
Brückenuhr konnte sie erkennen, daß es Mittag war,
achtzehn Stunden nachdem sie mitangesehen hatte, wie Neil Weisinger
seine Bronzemedaille geopfert hatte.
Sie verließ das Steuerhaus und stieß zu dem
Grüppchen Trauernder auf der Steuerbord-Brückennock,
bemerkte bei dieser Gelegenheit, daß alle anderen dem
Anlaß angemessenere Kleidung als sie trugen. Anthony sah in der
weißen Paradeuniform außerordentlich stattlich aus. Pater
Thomas hatte über einen schwarzen Frack eine Soutane aus roter
Seide gestreift. Kardinal di Luca hatte eine prunkvolle Pelzstola um
die Schultern der leuchtend-lilafarbenen Albe geschlungen. In ihrem
schäbigen, orangeroten Parka (geliehen von Lianne Bliss) sowie
mit den verschlissenen, grünen Fäustlingen (überlassen
von An-mei Jong) und den
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