Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
sollst nicht
töten‹«, zitierte er, während er mit den
Tränen rang, »›außer Kommunisten, die du
ungestraft töten darfst.‹«
     
    16. September
    Wahrscheinlich bist du darüber froh, daß ich dich
gerettet habe, Popeye. Offen gesagt, mich freut es auch, noch da zu
sein. Im Verlauf der Zeit sind viele Kapitäne mit ihren Schiffen
untergegangen, und ich beneide keinen von ihnen.
    Rafferty hat Sorge, das Objekt im Zwölfmeilenradar
könnte eventuell nur ein Eisberg sein, aber ich traue mir zu,
die Konturen des Corpus Dei jederzeit wiederzuerkennen. Falls
die Schleppketten noch vorhanden sind, erachte ich es als am
sinnvollsten, die Enden ums Deckhaus der Maracaibo zu
schlingen und die Abschlußkettenglieder zu verhaken. Sollte das
Gewicht zu hoch sein, wird das Deckhaus natürlich abgerissen und
geht über Bord, und wir rauschen alle übers Heck ins
Meer.
    Manche Leute haben es leichter, sie brauchen bloß Öl zu
befördern, um sich ihre Brötchen zu verdienen.
    Um 20 Uhr 15 hat der letzte Hubschrauber abgehoben und ist mit
Pembroke, Flume, Oliver Shostak und den zwei falschen
Fliegeroffizieren, die das PBY-Flugboot gesteuert haben, nach
Reykjavik abgeschwirrt. Ursprünglich war es meine Absicht, mich
dem guten, alten Oliver vorzustellen, ehe er die Fliege macht, und
ihm die Zähne in den Hals zu dreschen, ich habe mich dann aber
zu der Auffassung durchgerungen, daß es hinreichende Rache ist,
ihm die Freundin auszuspannen. Ich verstehe noch immer nicht so
richtig, was er und Cassie gegen unsere Fracht haben. Nach einer
Ansicht sollte jedes Geschöpf seinem Schöpfer dankbar sein.
Allerdings zählen meine privaten philosophischen Meinungen
gegenwärtig sowieso nicht. Es ist nicht meine Aufgabe, Loblieder
auf Gott zu singen, sondern ihn schlicht und einfach zu
bestatten.
    Ich lasse der Valparaíso noch eine Frist bis zum
Morgen. Wenn sie bis dahin nicht versunken ist, feuere ich eine
Aspide-Rakete ab und erlöse sie aus dem Todeskampf. Ich
fühle mich ernsthaft in Versuchung, Spruances
Flugzeugträger aufzuspüren und ihn auch zu
versenken. Aber ich widerstehe der Verlockung, Popeye. Es wäre
falsch, sich dermaßen nachtragend zu verhalten. »Befindet
man sich erst einmal unter dem geistigen Einfluß des Corpus
Dei«, hat Pater Thomas mir dargelegt, »muß man
ewig auf der Hut sein, unausgesetzt im eigenen Gemüt nach dem
moralischen Gesetz forschen.«
     
    Unter der Mitternachtssonne gewann Verzweiflung die
Intensität sexueller Betätigung, Schlaflosigkeit die
Stärke künstlerischen Auslebens. In der Arktis empfindet
ein schlafloser Seemann den Wind als schärfer, die salzige Luft
als herber, den Schrei eines Tölpels als durchdringender.
Während Anthony van Horne den Mittellaufsteg der Karpag
Maracaibo überquerte – überall hingen Eiszapfen,
auf allen Seiten schwammen Eisberge vorüber –, war ihm
zumute, als wäre er zum Helden einer wildbewegten
skandinavischen Sage geworden. Halb rechnete er damit, die
Midgardschlange mit gebleckten Zähnen und feurigen Augen durch
die rosig aufgehellte See kreuzen, um die dem Untergang geweihte Valparaíso kreisen, auf Ragnarök warten zu
sehen.
    Wie das zur Enthüllung vorbereitete Denkmal eines
Bürgerkriegsgenerals lag die Leiche seines Vaters in einem
Segeltuchseesack auf dem Vordeck.
    »Wenn man bedenkt, wieviel TNT und Testosteron heute morgen
hier benutzt und freigesetzt worden sind«, bemerkte Cassie,
indem sie den Kopf des Leichnams mit der Stiefelspitze anstieß,
»ist es erstaunlich, daß nur vier Menschen ums Leben
gekommen sind.« Matt lächelte sie Anthony zu. »Wie
geht’s dir?«
    »Ich bin müde«, antwortete er, nahm das Fernglas
vom Hals. »Und mir ist kalt.«
    »Bei mir ist’s genauso.«
    »Wir sind uns aus dem Weg gegangen.«
    »Ja, stimmt«, räumte Cassie ein. »Ob ich mein
schlechtes Gewissen je loswerde?«
    »Da fragst du den falschen Mann.«
    »Dieser beschissene Golf-Tanker… Also wirklich, wer
hätte denn die Idee gehabt, daß ein Golf-Tanker ankommt?«
    In der rundlichen Dicke ihrer daunengefütterten Parkas und
trotz der ungraziösen Pelzstiefel schmiegten sie sich
aneinander, ganz wie zwei verpaarte Grizzlys, die sich nach langem
Winterschlaf wiedergefunden hatten.
    »Ich hoffe, dein Kummer ist nicht unerträglich«,
meinte Cassie, hob im Seehundfellfäustling die Hand und zeigte
auf den Seesack.
    »Es erinnert mich an den Steckschuß, den mir mal in
Guayaquil ein Pirat verpaßt hat«, sagte Anthony. »Der
Schmerz kam nur langsam.

Weitere Kostenlose Bücher