Das Gottesmahl
abgeschabten, ledernen Cowboystiefeln (von
James Schreiender Falke) fühlte Cassie sich ziemlich
unehrerbietig. Sie scheute sich nicht, über die Fracht zu
lästern – schließlich war dieser Tote der Gott des
Westlichen Patriarchats –, aber es behagte ihr nicht, das
Klischee zu bestätigen, Rationalisten hätten kein
Gespür fürs Weihevolle.
Pater Thomas hob das Sprechanlagenmikrofon an die aufgesprungenen
Lippen und wandte sich an die Versammelten, von denen die Hälfte
auf dem Wetterdeck, die andere Hälfte auf dem Kai standen.
»Guten Tag, Freunde, Friede sei mit Ihnen.« Sei mit
Ihnen, sei mit Ihnen, wiederholten Echos aus der Weite der immens
ausgedehnten Gruft. »Nachdem unser Schöpfer von uns
gegangen ist, wollen wir seinen Geist ihm selbst empfehlen und seine
sterbliche Hülle an ihre letzte Ruhestätte betten. Asche zu
Asche, Staub zu Staub…«
Anthony ergriff das Steuerhaus-Walkie-talkie, drückte die
EIN-Taste und rief in würdigem Tonfall den Pumpenraum an.
»Mr. Horrocks, bitte nehmen Sie die Schläuche in
Betrieb.«
Auch jetzt arbeiteten die Feuerlöscheinrichtungen der Maracaibo mit der gleichen spektakulären Effizienz, die
man während der Reinszenierung der Schlacht von Midway hatte
erleben können. Am Achterdeck fuhren ein Dutzend Schläuche
aus und versprühten Liter über Liter dicken, weißen
Schaums. Es handelte sich um bis in die klitzekleinste Blase
geweihten Schaum, wußte Cassie, denn Pater Thomas und
Monsignore di Luca hatten den ganzen Vormittag damit zugebracht, im
Akkord die Feuerlöschfüllung zu segnen. Die geläuterte
Ersatzflüssigkeit der Letzten Ölung spritzte in hohem Bogen
durch die Luft und auf Gottes linke Schulter, fror im Augenblick des
Aufklatschens sofort fest.
»Allmächtiger Gott, wir beten dafür, daß du
hier in Frieden ruhen mögest, bis du dich selbst zur
Herrlichkeit des Jüngsten Tags erweckst«, rief Pater
Ockham. Cassie bewunderte die jesuitische Schläue, mit der es
dem Geistlichen gelang, den altbackenen Ritus der konkreten Situation
anzupassen, schlitzohrig ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen der
traditionellen christlichen Auferstehungsverheißung und der
rauhen Faktizität des verstümmelten Corpus Dei herzustellen.
»Dann wirst du dich von Angesicht zu Angesicht sehen und
deine ganze Macht und Majestät erkennen…«
Sobald Cassie ihr Stichwort hörte, trat sie vor, hielt Pater
Thomas’ Jerusalemer Bibel unter den Arm geklemmt.
»Cassie Fowler, unsere gerettete Schiffbrüchige, hat
darum ersucht, ein Abschiedswort sprechen zu dürfen«,
teilte der Priester den Seeleuten mit. »Ich weiß nicht,
was sie zu sagen beabsichtigt« – ein Blick der Ermahnung in
Cassies Richtung – »aber bin mir sicher, daß sie es
sich gründlich überlegt hat.«
Als Cassie das Mikrofon packte, galt ihre Sorge einer eventuellen
Blamage. Vor einer Klasse Tarrytowner College-Schüler etwas
über Nahrungsketten und ökologische Nischen zu
erzählen, war eine Angelegenheit, vor einer Horde
abgebrühter, rührselig-trübsinniger
Handelsflottenseeleute den Kosmos zu kritisieren eine völlig
andere Sache. »In der ganzen Bibel«, sagte sie zur
Einleitung, »ist es sicherlich die Heimsuchung Hiobs, die es mir
am ehesten ermöglicht zu artikulieren, wie Rationalisten meiner
Art zu der an diesen Ort beförderten Fracht stehen.« Sie
atmete einen Mundvoll eiskalter Luft ein und schaute auf den Kai
hinab. Lianne Bliss, die unter dem Blauwal stand, lächelte zum
Zeichen der Ermutigung. Dolores Haycox, die am Mammutbaum lehnte,
zwinkerte ihr zur Aufmunterung zu. »Vielleicht erinnern Sie
sich: Hiob wollte den Grund für die erlittenen,
schrecklichen Verluste erfahren, des Verlust seines Wohlstands,
seiner Familie, der Gesundheit, und daraufhin sprach Gott aus einem
›Wettersturm‹ zu ihm und ließ ihn mit der Belehrung
abblitzen, auf Gerechtigkeit für den Einzelnen käme es gar
nicht an.« Cassie stützte den Rücken der Bibel auf die
Reling und klappte das Buch fast in der Mitte auf. »›Wo
warst du, als ich die Erde gründete?‹ hielt Gott ihm eine
rhetorische Frage entgegen. ›Worauf sind ihre Sockel eingesenkt?
Und wer verschloß das Meer mit Türen, als schäumend
es aus dem Mutterschoß hervorquoll…?‹« Sie hob
den rechten Fäustling und deutete auf das gefrorene
Flußpferd. »›Sieh doch das Nilpferd‹«,
zitierte sie Gott ein weiteres Mal. »›Sieh seine
Stärke in seinen Lenden, seine Kraft in den Muskeln des Leibes!
Seinen Schweif läßt es hängen
Weitere Kostenlose Bücher