Das Gottesmahl
besorgniserregende Erkenntnis.
Dieser siebzigjährige Lotse, ein Arschloch und Kumpel seines
gefühllosen Eisschranks von Vater, hatte es unterdessen dahin
gebracht, daß nur noch hundertachtzig Meter das Schiff davon
trennten, auf die Untiefen zu laufen.
»Backbord zehn«, rief Anthony.
»Wollte ich gerade durchgeben«, maulte Kolby.
»Backbord zehn«, wiederholte der Steuermann.
»Voraus langsame Fahrt«, fügte Anthony hinzu.
»Das auch«, murrte Kolby.
»Voraus langsame Fahrt«, sagte Rafferty.
»Schlepper achtern los«, ertönte eine verzerrte
Meldung des Bootsmanns aus dem Walkie-talkie.
»Du mußt ein bißchen besser aufpassen,
Frank.« Anthony schmunzelte und zwinkerte dem Lotsen
herablassend zu. »Wenn die Valparaíso geringe
Fahrt macht, braucht sie ihre Zeit zum Manövrieren.«
»Schlepper voraus los«, meldete der Bootsmann.
»Recht so«, sagte Anthony.
»Recht so«, wiederholte der Steuermann.
»Anthony, wenn weiter du die Befehle erteilst«, knurrte
Kolby, »muß ich der Küstenwache eine Beschwerde
einreichen.«
»Und wenn du weiterhin die Befehle gibst, laufen wir
gleich in die amerikanische Börse ein.«
»Ich und ’ne Kollision verursachen? Ich dachte, das
wäre deine Spezialität.«
»Du kannst mich mal«, antwortete Anthony leise, aber mit
aller Deutlichkeit.
Die Hafenschlepper drehten nach Norden ab, ließen eine Reihe
schrillen, gepreßten Abschiedsgetutes ab und dampften wie eine
Schar schwimmender Pfeifenorgeln den Hudson hinauf.
»Verständigen Sie den Pumpenraum«, sagte der Lotse,
griff sich von der Manövrierkonsole das Sprechanlagenmikrofon
und reichte es dem Ersten Offizier. »Es wird Zeit, daß wir
Ballast lenzen.«
»Tun Sie’s nicht, Mr. Rafferty«, befahl
Anthony.
»Wir brauchen zum Steuern Wasserballast«, quengelte
Kolby.
»Um Himmels willen, wirf doch mal ’n Blick aufs Echolot.
Unsere Rumpfmuscheln können ja schon den Rüssel in den
Grund stecken.«
»Für diesen Hafen bin ich zuständig. Ich
weiß, wie tief er ist.«
»Nichts da, Frank. Keinen Ballast.«
Der Lotse lief vor Wut rot an. »Es hat den Anschein,
Kapitän«, schäumte er, »daß ich auf dieser
Brücke überflüssig bin.«
»Diesen Eindruck habe ich irgendwie auch.«
»Wo kaufen Sie Ihre Klamotten, Kolby?« erkundigte
Rafferty sich ausdruckslos. »In so einem Anzug möchte ich
gern begraben werden.«
»Leckt mich doch im Arsch«, entgegnete der Lotse.
»Ihr könnt mich alle im Arsch lecken.«
Anthony entwand den Sprechfunkapparat Kolbys zittriger Klaue.
»Steuerbord-Fallreep ausklappen«, wies Anthony den
Bootsmann an. »Lotse geht in zehn Minuten von Bord.«
»Sobald die Küstenwache über dein Verhalten
Bescheid weiß«, giftete Kolby, der vor Wut zitterte,
während er wieder seine Regenschutzkleidung anzog, »vergeht
keine Woche, bis du dein Kapitänspatent wieder los
bist.«
»Du mußt deine Beschwerde in Portugiesisch
vorlegen«, sagte Anthony, drängte den Lotsen aus dem
Steuerhaus. »Mein Kapitänspatent ist aus
Brasilien.«
»Brasilien?«
»Das liegt in Südamerika, Frank«, antwortete
Anthony, schob den Lotsen aus dem Steuerhaus. »Dort gelangst du mit deinen Lotsenkünsten niemals hin.«
Zehn Minuten später befand sich der entrüstete Lotse auf
dem Kutter der Hafenbehörde und entfernte sich von der Valparaíso mit dreißig Knoten Geschwindigkeit
zurück nach Pier 88.
»Mr. Rafferty, wir müssen nun Wasserballast
lenzen«, sagte Anthony, während das Schiff die
Freiheitsstatue passierte, die nimmermüde ihr Lämplein
emporreckte. »Halten Sie zweihunderttausend Liter für
ausreichend?«
»Auf einen Spritzer mehr oder weniger kommt’s nicht
an.« Der Erste Offizier nahm das Sprechanlagenmikrofon,
wählte den Pumpenraum an und benachrichtigte den Ersten
Maschinisten. »Mr. O’Connor, wir wollen das Schiff in
Trimmlage bringen.«
Von 18 Uhr 17 an pumpte die Valparaíso Wasser aus
der New Yorker Oberbucht, saugte ihre Fluten in die Ballasttanks.
Um 18 Uhr 55 unterquerte das Schiff mit einem Meter zwanzig
Abstand zur Unterseite der Brücke und knapp einem Meter Abstand
zum Meeresboden die Verrazano-Brücke über die Meerenge
zwischen Staten Island und Long Island.
Um 19 Uhr 15 erschien Anthonys Funkerin auf der Brücke:
Lianne Bliss, eine kleine, drahtige Neohippie-Vegetarierin, die
Ockham am Donnerstag bei der Internationalen Vereinigung der
Schiffer, Marineoffiziere und Lotsen aufgetrieben hatte. Nach guter,
alter Seeleutetradition trug sie den
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