Das Gottesmahl
als die
Dispatcherin, eine große, laute, birnenleibige Frau, die wie
eine Fischhändlerin aussah, aus ihrem von Glaswänden
umschlossenen Kabuff zum Vorschein kam und zum Anschlagbrett
watschelte. »Es gibt was.« Sie entfernte zwei
Reißzwecken aus ihrem Mund, als wären es lose Zähne,
und heftete ein Heuerangebot an die Korktafel.
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HOCHSEE-HEUERPLÄTZE
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REEDEREI: Gebr. Lykes
SCHIFF: SS Argo Lykes
LIEGEPLATZ: Pier 86
ABFAHRT: Freitag 15 Uhr
ZIEL: Südamerika (W.-Küste)
GESUCHT: 2 Vollmatrosen
DAUER: 120-Tage-Fahrt
ABGELÖST: J. Pierce. G. Marino
GRUND: Vertragsablauf
»So, Jungs«, rief die Dispatcherin, »wer will, wer
darf?«
»Mehr als zehn Monate und zwei Wochen hat hier keiner
vorzuweisen, stimmt’s?« vergewisserte sich der
Rastafari.
»Ich nehme die andere Heuer«, meldete sich Daniel
Rosenberg.
Die Dispatcherin guckte auf die Uhr. »Wenn innerhalb der
nächsten sechs Sekunden keine besseres Seefahrtbuch vorgelegt
wird« – sie zwinkerte den zwei Glücklichen zu –
»habt ihr gewonnen. Kommt mit, Jungs.«
Allmählich zerstreute sich die Ansammlung der
Aufgesprungenen, vierzig enttäuschte Frauen und Männer
schluften mürrisch zu ihren Sitzen zurück; acht Seeleute
fanden sich mit der Niederlage ab, nahmen ihre Seefahrtbücher
aus dem Schuhkarton und trollten sich. Nur die Träumer und
Verzweifelten blieben.
»Der Herr wird uns helfen«, beteuerte Zook.
Neil ließ sich in den nächstbesten Klappsessel sinken.
Warum gestand er es nicht einfach ein? Er machte schlichtweg keine
Karriere, er war ein Versager. Sein Großvater hatte dem Meer
irgendwie ein ehrbares, prächtiges Dasein abgerungen. Doch seine
Zeit war längst vorüber. Das Gewerbe ging vor die Hunde.
Heutzutage einem jungen Mann den Rat zu geben, in die Handelsflotte
der Vereinigten Staaten einzutreten, bedeutete das gleiche, als
empföhle man ihm, mit der Klampfe über Land zu tingeln.
Als Jungen hatte es Neil nie ermüdet, von Großvater
Mosches Seeabenteuern zu hören, wundervollen Geschichten
über Kämpfe gegen Piraten auf ecuadorianischen
Flüssen, die Beförderung von Flußpferden für
französische Tiergärten, Katz-und-Maus-Spielen mit
Nazi-U-Booten im Nordatlantik; und darüber, wie er (was am
meisten beeindruckte) gegen Ende seiner Laufbahn dabei geholfen
hatte, mit der Hatikwah, einem der im geheimen durch die
Alijah Bet gecharterten Trampschiffe, fünfzehnhundert
jüdische Flüchtlinge durch die britische Blockade nach
Palästina zu schmuggeln. Vier Jahrzehnte später hatte
Erster Offizier Mosche Weisinger eines Tages einen Brief der
israelischen Regierung geöffnet und darin eine Bronzemedaille
mit dem erhaben gestanzten Konterfei David Ben-Gurions gefunden. Nach
dem Tod Großvater Mosches hatte Neil die Medaille geerbt. Er
hatte sie stets in der linken Hosentasche, und wenn er Streß
litt, umklammerte er sie fest mit der Faust, verwendete sie als eine
Art jüdischen Handschmeichlers.
Um Punkt 12 Uhr 30 betrat ein hochgewachsener, schlaksiger Mann in
schwarzem Hemd mit römisch-katholischem Priesterkragen den
Wartesaal des Heuerbüros und übergab der Dispatcherin ein
Heuerangebot.
»Bitte hängen Sie das Papier sofort aus.« Die
Dispatcherin heftete das Blatt des Geistlichen direkt aufs
Heuerangebot der Argo Lykes. »Hört her, Jungs«,
rief sie, indem sie sich den wieder hoffnungsvollen Seeleuten
zuwandte, »drüben an Pier achtundachtzig liegt ’n
Tramptanker, und wie’s aussieht, wird so gut wie alles
gebraucht.«
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HOCHSEE-HEUERPLÄTZE
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REEDEREI: Tanker-Reederei Karpag
SCHIFF: SS Karpag Valparaíso
LIEGEPLATZ: Pier 88
ABFAHRT: Donnerstag 17 Uhr
ZIEL: Svalbard-Inseln
GESUCHT: 18 Vollmatrosen
12 Leichtmatrosen
1 Bootsmann
1 Pumpenmann
DAUER: 90-Tage-Fahrt
ABGELÖST: Unbekannt
GRUND: Entf.
Ein Gemurmel der Überraschung lief durch den Wartesaal.
Augenblicklich wimmelte es von Gerüchten wie von Möwen, die
sich auf angeschwemmtes Aas stürzten. Die Valparaíso, die verrufene Valparaíso, die verfluchte, verhexte,
diskreditierte Valparaíso! War sie denn nicht an die
Japaner verkauft und zu einem Giftmülltransporter umgebaut
worden? Hatte man sie nicht bei einem Tomahawk- Marschflugkörpertest versenkt? Nicht
verschrottet?
Offensichtlich nicht.
»Heißt das, wir sind alle angeheuert?« fragte ein
Mann mit schwammiger Statur und schlechten Zähnen.
»Jawohl, Sie alle«, bestätigte der Priester.
»Und außerdem können Sie mit mehr Überstunden
rechnen, als Sie bisher im ganzen
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