Das Gottesmahl
Zeichen. Und Dolores Haycox, die zaftig Dritte
Offizierin, hat den von mir vorgenommenen Überraschungstest
(mittels der Frage: »Wie lautet die Formel für die
Errechnung der Entfernung von einer Steilküste anhand des
Zeitabstands zwischen einem Nebelhornsignal und seinem Echo?«)
glanzvoll bestanden.
Daß Follingsbee ein hervorragender Smutje ist, wußte
ich ja schon, aber die Grillhähnchen heute abend ließen
sich wahrhaftig nicht von Mutter Beimers Geheimrezept unterscheiden,
sie schmeckten wirklich wie daheim und besonders knusprig. Seine
Begabung zu solcher Gewissenhaftigkeit ist ein sonderbares Talent.
Crock O’Connor aus Alabama, der Erste Maschinist, ist ein Typ
von Seemannsgarnerzähler, der jedem auftischt, er sei der
Erfinder des Kronenkorkens, hätte jedoch aufgrund der
betrügerischen Machenschaften eines Patentanwalts sein Lebtag
lang keinen roten Heller gekriegt. Er garantiert uns die
gewünschten 18 Knoten, warum soll ich ihm also nicht den
Gefallen tun, ihm zu glauben? Lou Chickering, sein
Maschinenassistent, ist ein gutaussehender, blonder Schauspieler
– unser Thomas Gottschalk der Meere – aus Philly, der
früher vergeblich auf dem Broadway Erfolg zu erringen versucht
hat und heutzutage nur noch in der Freizeit Laientheater im
Pausenraum veranstaltet. Sein Spezialgebiet ist Shakespeare, und als
er uns am vergangenen Abend aus Der Sturm Ariels
›Fünf Faden tief‹ vorsang, waren selbst die
Analphabeten gerührt. Maschinist Bud Ramsey dagegen ist
Pornosammler, Biersäufer und fanatischer Poker-Kartenklopfer.
Ich finde, es ist erfreulich, wenn jemand sich zu seinen Lastern
bekennt.
Und zur Unterstützung haben wir: 38 für die Arbeit
dankbare Seeleute, 14 Frauen und 23 Männer, die auf
sämtlichen Decks, der Kombüse sowie im Pumpen- und
Maschinenraum schuften, Rost abkratzen, Anstrich erneuern und
Scheiße schaufeln. Es ist amüsant, ihre Lebensläufe
durchzublättern. Wir haben an Bord einen
Landesliga-Mittelstürmer (Verein: Streitaxt Albany), einen
Ex-Clown (Zirkus Gebr. Hunt), einen Ex-Sträfling (bewaffneter
Raubüberfall), einen Punktschweißer, einen
Automobilwerk-Fließbandarbeiter, eine Avon-Vertreterin, einen
Armee-Unteroffizier, einen Hundeausbilder, einen chinesischen
Mathematiklehrer (Oberstufe), einen Taxifahrer, drei Wüstensturm- Veteranen sowie einen waschechten
Sioux-Indianer mit dem klangvollen Namen James Schreiender Falke.
Vor Kamerun hätte sich ein größerer Ölteppich
ausgelaufenen Petroleums verklumpt und ein ›Geschwemmsel
koagulierter Ölrückstände‹ gebildet – das
ist die Darstellung, die ich jedem gebe, der nach dem Zweck der Fahrt
fragt. Als die Karpag merkte, erzähle ich den Leuten,
daß der Vatikan von dem Desaster Wind bekommen hat,
unterbreitete sie dem Papst einen Kompromißvorschlag: Haltet
uns Greenpeace und die UNO vom Hals, und wir beseitigen die
Verklumpung. Und zwar nicht einfach durch Versenken, sondern wir
schleppen sie zur Küste, zerteilen sie und raffinieren sie zu
kostenlosem Öl für die im Entwickeln begriffene
afrikanische Industrie. Ausgezeichnete Idee, fand Rom, aber wir
schicken zur Überwachung Pater Ockham mit.
Also, wir führen eine Geheimaktion durch, klar? sage ich. Huschhusch muß alles ablaufen, kapiert? Deshalb geben
wir den Schiffen, denen wir begegnen, keine Signale, darum fahren wir
ohne Positionslichter, darf niemand daheim anrufen.
»Na gut, aber wieso fahren wir so unheimlich schnell?« hat Crock O’Connor gefragt. »Wollen
wir der erste Supertanker sein, der den Amerika-Pokal
gewinnt?«
»Der Teer ist ’ne Gefahr für die Schiffahrt«,
habe ich geantwortet. »Je eher er entfernt wird, um so
besser.«
»Gestern abend habe ich mein Trinkglas auf dem Tisch stehen
lassen.« O’Connor gab keine Ruhe. »Das Ding ist an die
Tischkante gerutscht und hat ununterbrochen gesungen, bis es
hinuntergefallen ist. Das Schiff ist ins Schwingen geraten,
Kapitän. Es ist zu befürchten, daß sich im Rumpf
Risse bilden.«
Und er hat recht. Man steuere einen leeren Supertanker mit 18
Knoten geradeaus, und es dauert nicht lange, bis er schlackert wie
ein 57er Chevrolet.
Es gibt gewisse Kniffe, um ein Schiff in diesem Zustand
durchzubringen, ohne zuviel Zeit zu verlieren. Ich wende jeden Trick
an, den ich kenne: vorübergehende
Geschwindigkeitsveränderung, leichter Kurswechsel, Abschalten
der Maschinen für ein, zwei Minuten, Treibenlassen – alles
was sich dazu eignet, um den Takt der Wellen, die gegen den
Vordersteven
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