Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
Liga für
moderne Aufklärung e. V. sich jeden Dienstagabend traf
– und danach durch einen Korridor glänzend polierten
Mahagonis in die plötzliche Klaustrophobie einer Aufzugkabine
folgte.
    »Wer ist Runkleberg?« erkundigte sich der Pater.
    »Über Runkleberg habe ich auch geplappert? Seit Jahren
ist mir der Name nicht mehr durch den Kopf gegangen.«
    »War er auch Ihr Freund?«
    »Manny Runkleberg«, erklärte Cassie, »ist eine
Figur in einem meiner Stücke.«
    »Sie schreiben Theaterstücke?«
    »Runkleberg ist mein Abraham des zwanzigsten
Jahrhunderts«, sagte Cassie und nickte. »Eines Tages
hört er Gottes Stimme von ihm fordern, daß er seinen Sohn
opfern soll.«
    »Und gehorcht er?«
    »Seine Frau verhindert es.«
    »Und wie?«
    »Sie erschießt ihn.«
    Pater Thomas verdrehte die Augen, eine Geste, die Cassie als
Ablehnung des beschriebenen Plots auffaßte; doch natürlich
konnte man von jemandem mit seinen Ansichten kaum erwarten, daß
er für die Demontage der Bibel durch eine Atheistin
Verständnis aufbrachte.
    Sie verließen den Lift und gingen durch einen zweiten
mahagoniglänzenden Korridor.
    »Biologie und Theater«, sagte der Geistliche. »Zwei
Gewerbe, die man normalerweise nicht in einer Person vereint
findet.«
    »Pater, ich kann einfach nicht neun Wochen lang auf
diesem Schiff bleiben.«
    »Aber je länger ich darüber nachdenke, um so klarer
wird mir, daß der Biologe und der Dramatiker viele
Gemeinsamkeiten haben. Der Biologe sucht nach
Gesetzmäßigkeiten, der Dramatiker nach den
Mehrdeutigen.«
    »Dem Mehrdeutigen? Nein, meine Stücke sind nun doch
politischer. Die Kritiker bezeichnen sie als ›unfeines
feministisches Gezeter‹. Worauf ich immer entgegne: Wenn ihr was
Feines wollt, eßt Tofu.«
    Die Funkstube war vollgestopft mit durch Koaxialkabel miteinander
verbundenen Funk- und Faxgeräten, Tastaturen und Fernschreibern.
Inmitten der Apparate saß eine junge, schlanke, sommersprossige
Frau mit so rotem, seidigem Haar, daß es ihr von einem
Orang-Utan hätte transplantiert worden sein können. Cassie
lächelte, freute sich über die Blech-Buttons, die die
Funkerin ans Batik-T-Shirt geheftet hatte: Ein Blitz fuhr in einen
Kleiderbügel, aus dem Venusspiegel wuchs eine Faust, das Motto
MÄNNER HABEN GEBÄRMUTTERNEID. Nur der Umhänger der
Offizierin, ein in Bronze gefaßter Quarzkristall, machte Cassie
stutzig, aber durch New-Age-Selbstbetrug verwässerter Feminismus
war besser als gar nichts.
    »Ihre Buttons gefallen mir.«
    »Mein Kimono steht Ihnen gut«, antwortete die
Funkoffizierin mit derartig tiefer Stimme, daß sie einer
zweimal so großen Person hätte gehören
können.
    »Sie darf ein Telegramm absenden, Öhrchen«,
informierte Pater Thomas die Frau, wich rückwärts aus der
Funkstube. »Fünfundzwanzig Wörter an Ihre Mutter, mehr
nicht. Ohne Erwähnung der Valparaíso.«
    »Geht klar.« Die Frau hob Cassie die Hand entgegen; auf
den Arm war Neptun mitsamt seinem Dreizack tätowiert.
»Lianne Bliss, Sternbild Schützin. Ich werde
›Öhrchen‹ genannt, weil ich ja ständig mein Ohr
an der Welt habe. Ich war diejenige, die Ihren SOS-Ruf aufgefangen
hat.«
    Die Biologin drückte Lianne Bliss die von der
Äquatorhitze schweißige Hand. »Ich bin
Cassie.«
    »Ich weiß. Sie haben ja ’n beachtliches Abenteuer
hinter sich, Cassie. Sie hatten die Karte mit dem Turm gezogen, aber
das Schicksal hat das Ruder noch einmal herumgerissen.«
    »Hä?«
    »Ich rede in Tarot-Deutungen.«
    »Von so etwas halte ich überhaupt nichts.«
    »Und von Oliver auch nicht, was?«
    »Huch!«
    »Auf einem Supertanker gibt’s keine Geheimnisse,
Liebchen. Je früher Sie sich damit abfinden, um so vorteilhafter
ist’s für Sie. Na schön, der Junge hat ’n
anständiges Bankkonto, aber ich bin der Meinung, Sie sollten ihm
den Laufpaß geben. Ich habe den Eindruck, er ist ’n
Jammerlappen.«
    »Und was wissen Sie noch über mich?«
    »Außer Oliver gibt es offenbar einen gewissen
Runkleberg in Ihrem Leben«, stellte Lianne fest. »Und einen
Alexander.«
    »Alexander ist eine Ratte.«
    »Das sind die meisten Männer.«
    »Nein, er ist eine echte Ratte. Der Hauptmitwirkende
meiner Forschungen.« Cassie streckte einen Zeigefinger und
tippte eine imaginäre Telegrafentaste. »Darf ich nun, da
Sie meine sämtlichen Geheimnisse kennen, nach Ihren fragen? Ist
Ihnen Ihre Arbeit zuwider?«
    »Im Gegenteil. Ich habe das Ohr am ganzen
Scheißplaneten.« Die Funkerin kratzte sich die
Neptun-Tätowierung. »Bei

Weitere Kostenlose Bücher