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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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nicht
mehr seit er Pater William McClory (Notre Dame) bei dem hirnrissigen
Versuch unterstützt hatte, die Theorie der natürlichen
Auswahl zu widerlegen. McClory hatte die These aufgestellt gehabt, je
tiefer man in den Ozean hinabdrang, um so regelmäßiger
begegnete man Trilobiten, Nautiloiden, Pleospongen sowie anderen
angeblich ausgestorbenen Organismen, und das wäre der Beweis
dafür, daß die Schöpfung eine zyklische, ewige
Angelegenheit sei, sich nicht dank der Wechselfälle der
Anpassung fortentwickelte, sondern durch das Walten des
Allmächtigen Gottes. Zwar war die Expedition hinsichtlich ihrer
Zielsetzung gänzlich gescheitert (außer da und dort einem
Coelacanthen gab es in den Tiefen der Meere keine lebenden
Fossilien), doch immerhin hatte Thomas dabei das
Schwimmtaucher-Diplom des Internationalen Tauchsportverbands und
hinlängliche Befähigungen und Erfahrungen erworben, um noch
zwei Jahrzehnte später der Prüfung durch Rafferty glanzvoll
standzuhalten und bei der Beförderung des Warpankers an
wichtiger Stelle mitwirken zu dürfen.
    Die Arme hochgestreckt, die Handflächen nach oben gekehrt,
paddelte die Zwölfergruppe mit den Schwimmflossen,
beförderte den Anker durchs Wasser wie Mohawk-Indianer ein
großes Kriegskanu übers Land. Schließlich kam der
gewaltige Kopf in Sicht; er hatte Ähnlichkeit mit einem
ausgedehnten Unterwasserplateau. Thomas hob das Handgelenk ans
Gesicht, beäugte den Tiefenmesser. Siebzehn Meter, genau
richtig. Sie hatten die Schwimmkörper gerade so weit aufgepumpt,
daß sie ein Gegengewicht zum Anker bildeten, jedoch nicht so
stark, daß sie oberhalb ihres Ziels geschwommen wären, des
Trommelfells. Bewohner der Umgebung schwebten vorüber, ein
Riesenbarsch, ein erbsengrüner Sägefisch, eine Schule
Quakfische, jede Kreatur trauerte entweder stumm oder klagte in
Tönen unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsschwelle; Thomas
hörte nämlich nichts als das Rasseln des eigenen Atems und
gelegentlich, wenn ein Sauerstofftank gegen den Anker stieß,
ein Dröhnen.
    Auf ein Zeichen Raffertys hinlangte jedes Gruppenmitglied an sich
hinab und knipste den an den Werkzeuggürtel geschnallten
Scheinwerfer an. Grellweiße Lichtkegel wanderten über das
linke Ohr, erleuchteten die Falten und Furchen, warfen dunkle, runde
Schatten auf die Umrisse der als »Darwinscher Höcker«
bekannten Eigentümlichkeit des Ohrs. Es schauderte Thomas. Im
Fall eines Menschen galten die Darwinschen Höcker als
anschauliches Beweisstück für die Evolutionstheorie: das
sichtbare Erbe eines spitzohrigen Ahnen. Aber welchen Sinn sollten,
um Himmels willen, derartige Knörpelchen bei Gott selbst
haben?
    Zügig, aber mit höchster Vorsicht, schwamm die Gruppe in
die Ohrmuschel und den äußeren Gehörgang. Von oben
hingen Stalaktiten aus Ohrenschmalz herab. Leben hatte sich an den
Innenwänden angesiedelt, Korallenkolonien, Tanggestrüpp,
eine Rekordernte an Seegurken. Thomas’ linke Schwimmflosse
streifte einen Stachelhäuter, einen fünfarmigen Asterias
rubens, der wie ein verirrter Stern von Bethlehem durch die
Ohrhöhle trieb.
    Crock O’Connors Maschinenraumcrew hatte gute Vorarbeit
geleistet, mit den Picken einen großen,
unregelmäßigen Schlitz ins Trommelfell gehackt und mit
wasserdichten Motorsägen erweitert. Während das Dutzend
Seeleute ihre Last in die Vorkammer der Eustachischen Röhre
bugsierten, die dicke Kette nachschleifte, überwältigte
schrankenlose Ehrfurcht Thomas. Gottes Ohr – das Hörorgan,
mit dem er sich selbst verkünden gehört hatte: »Es
werde Licht«, dasselbe Organ, durch das die ersten Schwingungen
des Urknalls Sein Gehirn erreicht hatten.
    Rafferty gab einen zweiten Wink, und die Taucher wedelten
kräftig mit den Schwimmflossen, erzeugten wahre Tornados von
Luftblasen und Gestrudel abgestorbener Zellen. Zentimeter um
Zentimeter erhob sich der Anker, bewegte sich an den Zilien
vorüber, die die Innenseite des Trommelfells säumten, und
verharrte an den großen, feinen Mittelohrknochen. Malleus,
Incus, Stapes, zählte Thomas sie sich auf, als das
Scheinwerferlicht das umfangreiche Dreiergebilde erhellte: Hammer,
Amboß, Steigbügel.
    Noch ein Zeichen Raffertys. Team A handelte mit
zusammengefaßten Kräften, hakte die rechte Ankerflunke um
den langgeschwungenen, festen Incus-Knochen, kettete Gott an die Valparaíso.
    Und nun: der Augenblick der Wahrheit. Rafferty stieß sich
ab, entfernte sich vom Warpanker wie ein Astronaut in der
Nullschwerkraft, gab den übrigen

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