Das Gottesmahl
Teammitgliedern durch eine
Geste zu verstehen, daß sie das gleiche tun sollten. Wie alle
anderen suchte auch Thomas Abstand. Der Anker schaukelte am
Steigbügelknochen, der große Ankerring baumelte hin und
her wie das Pendel einer riesenhaften Standuhr, doch die Bänder
hielten, der Knochen brach nicht. Die zwölf Männer
applaudierten dem Erfolg, schlugen die Neopren-Handschuhe zu
lautlosem Beifall zusammen. Thomas salutierte vor dem Ersten
Offizier. Rafferty erwiderte den Seemannsgruß. Froh über
das Gelingen, kehrte der Priester voller Stolz in den
äußeren Gehörgang um, orientierte sich an der
Ankerkette, und wie Theseus dem dadurch berühmt geworden Faden
Ariadnes folgte er ihrem Verlauf mit unfehlbarer Sicherheit zum
Schiff zurück.
Erst jetzt, während Anthony van Horne an der Steuerbordseite
des Schiffs stand, der Wind heulte, die See brauste, am Heck der
gigantische Leichnam dümpelte, erst jetzt zog er in Betracht,
daß das Schleppverfahren sich womöglich gar nicht
durchführen ließ. Die Fracht war geradezu titanisch, viel
kolossaler, als er sie sich ausgemalt hatte. Einmal angenommen, die
Anker hielten, die Ketten blieben heil, die Kessel explodierten
nicht, die Ankerwinden wurden nicht losgerissen und stürzten
nicht ins Meer – selbst unter der Voraussetzung, daß kein
Malheur dieser Art geschah, mochte es sein, daß das bloße
Schleppgewicht die Valparaíso überforderte.
Er hob das Walkie-talkie an die Lippen, schaltete es per
Tastendruck auf die Frequenz des Maschinenleitstands um.
»Hier van Horne. Haben wir Dampf im Maschinenraum?«
»Genug um ’n Schwein zu dünsten«, antwortete
Crock O’Connor.
»Wir probieren’s mal mit zwohundertfünfzig
Umdrehungen. Können wir das hinbiegen, ohne daß uns
’n Rohr platzt?«
»Um das rauszufinden, gibt’s nur einen Weg«, meinte
der Erste Maschinist.
Anthony drehte sich dem Steuerhaus zu, winkte dem Steuermann und
zeigte Marbles Rafferty den nach oben gereckten Daumen. Bisher hatte
der Erste Offizier sich an der Manöverkonsole hervorragend
bewährt, den Leichnam immer genau achtern und in 600 Metern
Abstand gehalten, die Valparaíso der
Vier-Knoten-Abdriftgeschwindigkeit ihrer Fracht vorzüglich
angepaßt. (Zu dumm, daß Operation Jehowa eine
Geheimaktion war, denn das war genau die Art von besonderer Leistung,
die Rafferty den begehrten Titel des ›Meisters der Vereinigten
Staaten im Dampf- und Motorgroßschiff-Hochseeverkehr‹
hätte eintragen können.) Auch der Bursche am Steuer
verstand sein Gewerbe: Neil Weisinger, derselbe Vollmatrose, der
während des Hurrikans Beatrice am Steuerrad Dienst getan hatte.
Aber selbst mit zwei Genies auf der Brücke konnte das
Abschleppen dieser ganz besonderen Fracht sich als das heikelste
Manöver in Anthonys gesamter Laufbahn herausstellen.
Der Kapitän kehrte sich dem Heck zu und betrachtete die
beiden Ankerwinden: zwei immense Walzen mit sechs Metern Durchmesser,
Baßtrommeln ähnlich, um damit den Takt der
Sphärenmusik zu schlagen. Eine Drittelmeile achtern hinter dem
Schiff ragte die erkahlte Schädeldecke der Fracht aus dem Meer,
der langhaarige, weiße Schopf, dessen jedes Haar so dick war
wie ein Transatlantikkabel, glitzerte im Morgensonnenschein.
Die Klagegemeinde hatte sich vollständig zerstreut.
Vielleicht war ihre Pflicht inzwischen erfüllt – ›schivah zu schwimmen‹, wie Neil Weisinger es
amüsant ausgedrückt hatte – doch erachtete Anthony es
als wahrscheinlich, daß das Schiff sie vertrieben hatte.
Irgendwie konnte Anthony sich nicht des Gefühls erwehren,
daß all die traurigen Geschöpfe seine Vorgeschichte
lückenlos kannten, über die Ölkatastrophe und das, was
ihren Schwestern und Brüdern dadurch zugefügt worden war,
genau Bescheid wußten. Sie mochten sich mit der Karpag
Valparaíso nicht in ein und demselben Meer aufhalten.
Er hob das Bushnell-Fernglas an die Augen und stellte es scharf.
Das Wasser war erstaunlich klar, er konnte sogar unterm Meeresspiegel
Seine Ohren erkennen, aus deren Innerem die Ankerketten hervortraten
wie silberner Eiter. Vor vierundzwanzig Stunden war Rafferty mit
einem Erkundungstrupp auf dem Motorboot Juan Fernández hinübergefahren. Nachdem die Gruppe die stille Bucht
zwischen leeseitigem Oberarm und der benachbarten Brust angesteuert
hatte, war es ihm gelungen, indem sie Achselhaare als Poller
benutzten, einen aufblasbaren Landungssteg zu befestigen und von da
aus die hohe Fleischklippe zu ersteigen. Während sie den
Brustkorb
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