Das Gottesmahl
Kollision der Valparaíso binnen zweier Jahre
mitzumischen, keineswegs behagte, versteifte er sich auf die
Einstellung, daß das Abschleppverfahren entweder gelang oder
nicht. »Rafferty, achtzig Umdrehungen!«
»Achtzig?«
»Achtzig!«
»Achtzig«, bestätigte der Erste Offizier.
»Geschwindigkeit?«
»Neun Knoten.«
Neun Knoten. Gut. Auf alle Fälle schneller als achtern die
Leiche. Anthony beobachtete die Kettenstränge. Kein Erschlaffen.
Sie hingen nicht durch, und das Schiff dampfte ab! »Steuermann,
Backbord zehn!« Nochmals setzte der Kapitän das Fernglas an
die Augen, lachte in den Wind, betrachtete Seine
großflächige Stirn, die im Sonnenschein schimmerte.
»Kurs drei-fünf-null!«
»Drei-fünf-null«, wiederholte Weisinger.
Anthony kehrte sich bugwärts um. »Voraus volle
Fahrt!« schrie er Rafferty zu, und schon befanden sie sich auf
dem Weg; waren unterwegs wie ein grandioses Wasserski-Gespann, als ob
in einer Irrenhaus-Theateraufführung de Sades Held Achilles den
Leichnam Hektars um die Mauern Trojas schleifte, in einem
surrealistischen Werbefilm für den Amerikanischen
Pfadfinderdachverband ein engelsgesichtiges Knäblein seinen
verletzten Bruder auf dem Rücken trug (Er ist nicht schwer,
Vater, er ist mein Schöpfer) – sie waren unterwegs und
schleppten Jehowa gen Norden.
Während die Valparaíso mit ihrem
überschweren Schleppgut durch den Golf von Guinea kreuzte,
erkannte Cassie Fowler, daß ihr Wunsch, die Fracht zu
vernichten, auf kompliziertere Motive zurückging, als sie
ursprünglich geglaubt hatte. Gewiß, der Leichnam drohte
die Macht des Patriarchats zu stärken. Ja, seine bloße
Existenz bedeutete für die Aufklärung einen furchtbaren
Schlag. Doch sie hatte noch einen anderen, persönlicheren
Beweggrund. Falls ihr teurer Oliver tatsächlich eine so
überzeugende Leistung vollbrachte, es ihm gelang, sein Gehirn
und seinen Reichtum erfolgreich zu Gottes endgültiger
Beseitigung einzusetzen, stünde er in ihren Augen als
Größe gleich hinter Charles Darwin da. Vielleicht willigte
sie nach all den Jahren sogar in seinen seit langem unbeantworteten
Heiratsantrag ein.
Am 13. Juli um 9 Uhr betrat Cassie die Funkbude und unterbreitete
ihr Anliegen ›Öhrchen‹ Lianne Bliss. Sie
müßten Oliver insgeheim ein Fax schicken. Es wäre
unverzüglich totale Sabotage erforderlich, die Zukunft des
Feminismus davon abhängig.
Nicht etwa, daß sie Oliver nicht so geliebt hätte, wie
er war: ein netter Kerl, kompromißloser Atheist und
wahrscheinlich der philosophischste Vorsitzende, den die
Philosophische Liga für moderne Aufklärung e. V. je
gehabt hatte; gleichzeitig jedoch – so empfand es Cassie –
war er geradeso ein Außenseiter wie sie eine
Außenseiterin, gestrandet an den Küsten der eigenen,
grundsätzlichen Nutzlosigkeit, nicht nur ein Sonntagsmaler,
sondern seinem gesamten Wesen nach eine Sonntagsexistenz. Wie
könnte eine derartige Null sich optimaler ein
Selbstwertgefühl erringen als durch die Rettung der westlichen
Zivilisation vor dem Rückfall in eine frauenfeindliche
Theokratie?
»Die Zukunft des Feminismus?« staunte Lianne, befingerte
nervös ihren Kristallumhänger. »Im Ernst?«
»Es ist mir todernst«, versicherte Cassie.
»Echt? Tja, aber außer Pater Thomas darf niemand mit
der Außenwelt Verbindung herstellen. Befehl des
Kapitäns.«
»Lianne, dieser elende Leichnam ist haargenau das,
worauf das Patriarchat die ganze Zeit gewartet hat – der Beweis
dafür, daß die Welt von dem chauvinistischen Tyrannen des
Alten Testaments erschaffen worden ist.«
»Na schön, mal angenommen, wir schicken ’nFax, würden Ihre ach so skeptischen Freunde Ihnen
denn glauben?«
»Selbstverständlich nicht, schließlich sind sie ja
Skeptiker. Sie müßten Luftaufnahmen machen, die Bilder
auswerten, die Angelegenheit diskutieren…«
»Ich darf nicht, Liebchen. Für so was kann ich aus der
Handelsflotte geschmissen werden.«
»Es geht um die Zukunft des Feminismus,
Lianne…«
»Ich sag’s doch, es ist ausgeschlossen.«
Am folgenden Morgen versuchte Cassie es noch einmal.
»Nach Jahrhundert um Jahrhundert phallokratischer
Unterdrückung setzen die Frauen sich allmählich durch, und
nun – zack! – mit einem Schlag kommt’s dahin,
daß wir wieder ganz von vorn anfangen müssen.«
»Übertreiben Sie nicht ’n bißchen? Wir sollen
ihn bestatten, nicht in ’m Glassarg ausstellen.«
»Ja, aber wie will man verhindern, daß in ein, zwei
Jahren
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