Das Gottesmahl
Allmächtigen Vater«,
deklamierte Leo Zook, »den Schöpfer des Himmels und der
Erde, und an Seinen Sohn Jesus Christus, unseren
Herrn…«
Der Geistliche räusperte sich, sein Adamsapfel hüpfte
gegen den Priesterkragen. »Lassen Sie die Hand oben, wenn Sie
glauben, Gott sei dem Wesen nach ein Geist, ein unsichtbarer,
körperloser Geist.«
Niemand senkte die Hand.
»Gut. Nun halten Sie die Hand oben, wenn Sie letzten Endes
der Ansicht sind, unser Schöpfer ist im großen und ganzen
mit einer Person menschlicher Art zu vergleichen.« Der Priester
nahm einen Pingpongball aus dem Fach und zerdrückte ihn in der
Faust. »Eine mächtige, gewaltige, riesige Person, jemand
mit Haut und Knochen…«
Langsam und unsicher, etwa wie Saugpumpen, die sich herabneigten,
um Rohöl zu trinken, sank die Mehrzahl der Arme nach unten,
Neils Arm ebenfalls. Beides konnte Gott seiner Ansicht nach
nicht sein. Er wunderte sich über die drei Seeleute, deren Arme
in der Höhe blieben.
»Na, jetzt reden Sie aber doch über Christus«, warf Leo Zook ein, dessen Hand flatterte wie ein verstörter
Kolibri.
»Nein«, erwiderte der Geistliche. »Ich spreche
nicht über Christus.«
Neils Magen schien sich abzulösen und nach unten zu sacken.
Er griff in die Jeans, packte die Ben-Gurion-Medaille seines Vaters,
umklammerte sie fest. »Moment mal, Sir. Wollen Sie
behaupten…?« Er schluckte und wiederholte den Satzanfang.
»Wollen Sie behaupten…?«
»Jawohl«, antwortete Pater Thomas mit trübseligem
Ernst. »Genau das will ich damit sagen.«
Daraufhin warf der Priester den eingequetschten Pingpongball
empor, fing ihn auf und erzählte die widersinnigste und
deprimierendste Geschichte, die Neil je zu Ohren gekommen war, eine
Darstellung, zu deren zahlreichen Absurditäten nicht nur ein
toter Gott und weinende Engel, sondern auch verwirrte Kardinäle,
trauernde Narwale, ein hellsichtiger Computer und ein
ausgehöhlter Eisberg an einer Insel mit dem Namen Kvitöi
gehörten.
Kaum war Pater Thomas verstummt, deutete Dolores Haycox
wütend mit dem Zeigefinger auf van Horne. »Ich dachte, Sie
hätten angegeben«, wimmerte sie, »es ginge um
Teer.«
»Wir haben eine Unwahrheit vorgeschoben«, gestand der
Kapitän.
Inmitten der Versammelten meldete sich Crock O’Connor, der
rotgesichtige Erste Maschinist, zu Wort. »Ich möchte etwas
sagen«, erklärte er, putzte sich an seinem
Harley-Davidson-T-Shirt die öligen Pranken ab. »Ich
möchte sagen, daß ich während meiner ganzen
dreißig Jahre auf See noch nie einen solchen ausgemachten,
abgefeimten Schwachsinn gehört habe.«
»Kann sein, Sir.« Die Stimme des Paters blieb ruhig und
gemessen. »Aber wie erklären Sie dann den Beweis, der an
unserer Steuerbordseite im Meer treibt?«
»Ein Blendwerk Satans«, zeterte Zook augenblicklich.
»Unser Glaube wird auf die Probe gestellt.«
»Oder der Regierung ist ein biologisches Experiment voll in
die Hose gegangen«, mutmaßte Ralph Mungo.
»Ein UFO aus Fleisch«, rief James Schreiender Falke.
»Es ist das Ungeheuer von Loch Ness«, sagte Karl
Jaworski.
»Ich wette, das Ding ist bloß aus Gummi«,
unterstellte Steven Longyear, der afroamerikanische
Bordbäcker.
»Ja klar«, stimmte ihm Jimmy Pindar zu, ein drahtiger,
kleiner Normali mit Goldohrring und Irokesenfrisur. »Aus Gummi,
Glasfasern und Füllung…«
»Vielleicht eine Gottheit«, hatte Maschinist Bud Ramsey
den Verdacht, ein wieseläugiger Mann, der im Pausenraum der
Besatzung andauernd zum Pokerspielen anstiftete, »aber bestimmt
nicht Gott selbst.«
In der Offiziersmesse breitete sich ein Schweigen aus, das schwer
war wie ein Schleppanker, drückend wie Nordseenebel.
Zögernd schauten sich die Seeleute der Valparaíso mit gequälten Blicken an.
Gottes Leichnam. Ach du lieber Himmel.
»Aber ist er wirklich tot?« fragte Horrocks mit
hoher, nahezu kastratenhafter Stimme. »Ganz und
gar…?«
»Der Vatikan-Zentralcomputer OMNIPATER hat eine gewisse
Anzahl überlebender Neuronen prognostiziert«, erwiderte
Pater Thomas, »aber ich gehe davon aus, daß unzureichende
Daten zugrundelagen. Allerdings steht natürlich jedem das Recht
zu, sich persönlich Hoffnungen zu machen.«
»Wieso ist er gestorben?« wollte Wheatstone erfahren.
»Das ist ja unbegreiflich.«
»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist das Geheimnis, warum
unser Schöpfer verstorben ist, ebenso undurchschaubar wie das
Rätsel seiner Herkunft. Gabriel hat mich dazu gedrängt,
über das Problem nachzudenken. Er vertrat die
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