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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Seltsame,
Erstaunliche, ja Erschreckende, so erkannte Neil, der sich von einer
Verzückung neuer Freiheit durchpulst fühlte, daß er
es wahrhaftig ernst meinte.
    »Gott ist futsch, Eddie. Hast du das noch nicht gerafft? Kein
Gott, keine Gebote… Gottes Auge wacht nicht mehr.«
    »Denk an Follingsbees paniertes McNuggets-Hähnchenklein.
Mann, ich geb dir ’ne Pulle Budweiser ab.«
    Neil lehnte das Harpunengewehr an ein ausnehmend dickes
Körperhaar des Corpus Dei, beugte sich über den
Lauf, befeuchtete die von der Sonnenglut aufgesprungenen Lippen und
küßte das heiße, singende Metall.
    »Gottes Auge wacht nicht mehr…«
     
    Oliver Shostak erachtete es als vollkommen angebracht, daß
die Philosophische Liga für moderne Aufklärung e. V.
sich lediglich an eine annähernde, äußerst lockere
Auslegung von Alfred E. Neumanns Wie leite ich einen Verein?
Hundert Regeln für Ordnung im Club! hielt, denn weder Regeln
noch Ordnung ließen sich mit dem raison d’être der Organisation überhaupt vereinbaren. Viele Leute hatten
dafür keinerlei Verständnis. Man erwähne in Gegenwart
einer durchschnittlichen New-Age-Matschbirne nur das Wort
›Rationalist‹, und mir nichts, dir nichts erweckte man bei
dem- oder derjenigen unappetitliche Assoziationen: die Vorstellung
mieser, auf Gängelei versessener Spielverderber, auf Ordnung
fixierter Nervensägen oder im Grunde genommen stockdummer
Ultrasuperlogiker, die ausschließlich an der Oberfläche
der Dinge kratzten und das Wesen des Kosmischen übersahen.
Pah… Ein Rationalist konnte ebensogut Ehrfurcht empfinden wie
ein Schamane. Aber es mußte durch qualifizierte Eigenschaften
begründete Ehrfurcht sein, glaubte Oliver, Ehrfurcht ohne
Illusionen – die Art von Ehrfurcht, die ihn befiel, wenn er die
Ausdehnung des Universums zu begreifen versuchte, sich die
Unwahrscheinlichkeit der eigenen Geburt ausmalte, oder wenn er so
etwas wie das Fax der SS Karpag Valparaíso las, das er
in der Westentasche hatte.
    »Fangen wir an«, sagte er, winkte der bildhübschen,
jungen Studentin der Juilliard-Musikhochschule ab, die am anderen
Ende des Raums auf dem Cembalo spielte. Sie hob die Hände von
den Tasten; die Musik, Mozarts verschlungene Fantasia in D-moll,
verstummte mitten im Takt. Natürlich benutzte er keinen Hammer.
Ebenso fehlte ein Tisch, man führte kein Protokoll, und es gab
keine Tagesordnung. Die achtzehn Vereinsmitglieder saßen,
nachgerade eingesunken im Luxus weicher Récamier-Tagesliegen
und üppig mit Samt gepolsterter Diwane, in zwanglosem Kreis.
    Den Raum hatte Oliver persönlich eingerichtet. Er konnte es
sich leisten. Er konnte sich alles erlauben. Dank des nahezu
gleichzeitigen Aufkommens des Feminismus, sexueller
Freizügigkeit sowie mehrerer durch Geschlechtsverkehr
übertragbarer Krankheiten herrschte auf der Welt ein
beispielloser Verbrauch an Latex-Kondomen, und in den achtziger
Jahren war die glanzvolle Entwicklung seines Vaters, das
Supersensitiv-Kondom Standarte, zum Marktführer aufgestiegen.
Vom Ende des Jahrzehnts an waren erstaunliche Geldmengen auf die
Konten der Familie geflossen, eine unablässig anschwellende Flut
des Gewinns. Manchmal hatte Oliver den Eindruck, sein Vater
hätte eine Umsatzbeteiligung an den Geschlechtsakten selbst.
    »Barclay hat das Wort«, sagte er, trank ein
Schlückchen Brandy.
    Cassies Fax war leicht zu entschlüsseln gewesen. Sie hatte es
in Häresie verfaßt, dem Zahlenchiffre, den sie sich in der
zehnten Klasse ausgedacht hatten, um die Aufzeichnungen ihres
damaligen Geheimbunds zu tarnen, des Freidenker-Clubs. (Außer
Cassie und Oliver hatte dieser Bund nur zwei weitere Mitglieder
gehabt, die einsamen, höchst unbeliebten Maldonado-Zwillinge,
ein überaus schlichtmütiges Paar Zeitgenossen.) Das ist
keine Verarschung. Schaut es Euch selber an. In unserem Schlepp
befindet sich wirklich und wahrhaftig…
    Als der Stellvertretende Vorsitzende der Philosophischen Liga
aufstand, schenkten die Vereinsmitglieder ihm sofort volle
Aufmerksamkeit, nicht nur, um sich sein Referat anzuhören,
sondern auch, um sich am Anblick dieser weithin bekannten
Persönlichkeit sattzufreuen. In den letzten Jahren hatten die
Vereinigten Staaten von Amerika wenigstens eines geschafft,
nämlich einen hauptberuflichen Entlarver hervorzubringen –
ein Gegengewicht zu den zwanzigtausend Astrologen, fünftausend
Urschrei-Therapeuten und Dutzenden von Graphomanen, die routiniert
Bestseller über UFO-Entführungen sowie das

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