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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Neil die Sendetaste. »Richtung?«
    »Null-vier-sechs. Er ist zwölf Meter lang, Neil. Ich
habe noch nie derartig viele Zähne in einem einzigen Maul
gesehen.«
    Neil hob das Harpunengewehr aus dem Kniegrübchen und eilte
das rund fünfzig Meter breite, runzlige, schwammige Ufer
zwischen Seinem Knie und dem Ozean hinab. Nässe wehte empor, ein
hoher, gischtiger Schleier aus Feuchtigkeit, der immerzu zusammensank
und von neuem entstand, während die übergroße
Kniescheibe durch den Atlantik glitt. Operation Jehova nannte
der Kapitän inzwischen das Schleppunternehmen. Er war sich
offenbar nicht darüber im klaren, daß der Name Jehova für einen Juden wie Neil eine gewisse
Anstößigkeit enthielt, weil es das geheimnisträchtige
und unaussprechliche YHWH mit weltlichen Selbstlauten
beschmutzte.
    Neils Blick schweifte über die Wogen, die
vorüberschäumten. Eddie hatte recht: Es war ein gut und
gerne zwölf Meter langer Hammerhai, der am Leichnam
längsschwamm, als wäre er ein großer, organischer
Tischlerhammer, eigens gezüchtet, um Gottes Sarg zuzunageln.
Neil hob das WP17 an die Schulter, drückte das Auge ans
Zielfernrohr und nahm das Walkie-talkie vom Gürtel.
    »Geschwindigkeit?«
    »Zwölf Knoten.«
    »Wir müssen das nicht tun«, meinte Neil zum
Bootsmann. »Ich gehe jede Wette ein, daß es gegen die
Gewerkschaftssatzung verstößt. Es kann gar nicht sein,
daß wir dazu verpflichtet sind. Entfernung?«
    »Vierzehn Meter.«
    Wie komisch, überlegte Neil versonnen, daß jedes
Raubtier sich auf ein besonderes kulinarisches Gebiet verlegte. Aus
der Höhe kamen die kamerunischen Geier, schwirrten herab wie aus
der Art geschlagene Engel, beanspruchten für sich die Augen und
Tränensäcke. Von unten schlichen sich die liberischen
Seeschlangen an und atzten sich rücksichtslos am prallen
Gesäßfleisch. Der Meeresspiegel gehörte den Haien
– tückischen Makrelenhaien, biestigen Blauhaien,
freßgierigen Hammerhaien –, die an den weichen,
bärtigen Wangen knabberten, die zarten Häutchen zwischen
den Fingern herausrupften. Und tatsächlich, im gleichen Moment,
als Neil den Hammerhai im Visier hatte, vollzog das Tier eine
ruckartige Seitenwendung und schwamm westwärts, vollauf und
gänzlich skrupellos dazu entschlossen, die Hand zu beißen,
die es erschaffen hatte.
    Er verfolgte den Hai im Zielfernrohr, nahm den Knorpelhöcker
am Schädel des Fischs ins Fadenkreuz, schlang den Finger um den
Abzugshebel. Er drückte ab. Mit dumpfem Knall schoß die
Harpune aus der Mündung. Sie rauschte über die Wellen, traf
das überraschte Tier in die Stirn und bohrte sich ins
Gehirn.
    Tief atmete Neil feuchte afrikanische Luft ein. Armes Vieh, so
etwas hatte es nicht verdient, schließlich hatte es keine
Sünde begangen. Selbst als der Hai eine Sechziggraddrehung
vollführte und schnurstracks auf das Knie zuhielt,
verspürte Vollmatrose Neil Weisinger nichts als Mitleid.
    »Zünden, Kumpel!«
    »Verstanden, Eddie.«
    »Los doch!«
    Der Hai ziepte vor Schmerz, spuckte Blut, aber warf sich an den
Fleischstrand, tobte wie tollwütig, daß Neil halb
erwartete, dem Fisch wüchsen Beine, um auf ihn zuzukriechen. Er
preßte das Harpunengewehr ans Netzhemd, langte zum an den
Gürtel gehängten Sender hinab und kippte die Taste.
    »Hau ab!« schrie Eddie. »Um Himmels willen, hau
ab!«
    Neil wirbelte herum, rannte über den wabbeligen Untergrund.
Sekunden später hörte er den Sprengkopf explodieren, das
scheußliche Wumsen des TNT, als es lebendes Gewebe zerfetzte
und frisches Blut verdampfte. Er schaute sich um. Die Detonation
erzeugte eine rote, spritzig-nasse Druckwelle, eine hellrote
Fontäne erfüllte den Himmel mit dicklichen Klumpen
Hirn.
    »Alles klar, Kumpel? Du hast doch nichts abgekriegt,
oder?«
    Während Neil die Kniescheibe erklomm, hagelten die Brocken
herunter, ein klebriger Regen aus Haigedanken, sämtliche toten
Hoffnungen und zerstobenen Träume des Hammerhais, besudelte
Vollmatrose Neil Weisingers Hemd und Jeans.
    »Ich schwör’s, ich gehe drüben geradewegs zu
Rafferty!« heulte er. »Ich halte ihm das Harpunengewehr
unter die Nase und sage ihm, das ich für so einen Scheiß
nicht angemustert habe.«
    »In fünfunddreißig Minuten ist unsere Schicht
vorbei.«
    »Wenn Rafferty mich von dieser Drecksarbeit nicht entbindet,
harpuniere ich ihn! Ohne Scheiß! Peng, genau
zwischen die Augen!«
    »Warte ab, bis du geduscht hast, dann bist du wieder besser
drauf.«
    Und das wirklich Bemerkenswerte daran war, das

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