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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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in der Stadt glühte noch die Hitze des Julitags
nach, doch in Montesquieu Hall sorgte eine ausgeklügelt
aufeinander abgestimmte Nutzanwendung von Isolation und
Klimatisierung für die einwandfreie Simulation einer kalten
Februarnacht. Auch eine Idee Olivers. Er zahlte die Kosten.
Extravaganz? Ja, aber wozu reich sein, wenn man sich nicht
gelegentlich diesen oder jenen spleenigen Wunsch erfüllte?
    »Ich habe noch etwas Neues«, sagte Oliver, griff
in die Tasche der Seidenweste und holte die in jeder Hinsicht
frappierende Mitteilung heraus. »Ein Fax von Cassie Fowler, die
sich momentan an Bord des Supertankers Karpag Valparaíso aufhält. Ihr könnt hier auf dem Briefkopf das Karpag- Logosehen.« Oliver deutete auf den weltbekannten
Stegosaurus. »Also war das Telegramm, das letzte Woche bei ihrer
Mutter eingegangen ist, offenbar echt, und Cassandra ist am Leben.
Das ist die gute Neuigkeit.«
    »Und was ist die schlechte Neuigkeit?« erkundigte sich
die anmutige, juwelenäugige Pamela Harcourt, das geistige Licht
hinter dem Periodikum Der skeptische Beobachter, der schmalen
Verlustgeschäft-Hauspostille der Philosophischen Liga (1042
Abonnenten).
    »Da gibt es zwei Möglichkeiten.« Oliver hob den
Zeigefinger. »Entweder hat Cassandra einen psychotischen Anfall
erlitten« – er streckte den Mittelfinger –, »oder
die Valparaíso hat wirklich Gottes Leiche im
Schlepp.«
    »Was im Schlepp?« Taylor Scott, ein dünner,
junger Mann, dessen Vorliebe für das seriöse
Lebensgefühl der Philosophischen Liga so weit reichte, daß
er konservative Herrenmäntel und Manschettenknöpfe trug,
klappte sein silbernes Zigarettenetui auf.
    »Gottes Leiche. Anscheinend ist sie ziemlich
groß.«
    Tayler nahm eine türkische Zigarette und steckte sie sich
zwischen die Lippen. »Jetzt verstehe ich gar nichts
mehr.«
    »Drei Komma zwo Kilometer lang, heißt’s hier. Die
nackte Leiche eines männlichen Weißen.«
    »Hä?«
    »Der Corpus Dei. Könnte ich mich noch deutlicher
ausdrücken?«
    »Was für ein Unsinn«, bemerkte Scott.
    »So ein Quatsch«, sagte Barclay Cabot.
    »Cassandra war klar«, äußerte Oliver,
»daß wir so darüber denken.«
    »Das will ich doch wohl hoffen«, sagte Pamela Harcourt.
»Oliver, mein Lieber, um was geht’s eigentlich?«
    »Ich weiß nicht, um was es geht.« Das
Brandy-Glas in der Hand, stand Oliver auf, trat aus dem Kreis der
Rationalisten und schlenderte um die Außenseite. Unter normalen
Umständen war der Westsaal Montesquieu Halls sein Lieblingsort
auf Erden, eine der Gemütsberuhigung förderliche
Kombination aus Mittelpfostenfenstern, Stofftapete an den
Wänden, französischen redoute Blumendrucken aus dem
18. Jahrhundert sowie seinen selbstgemalten
Original-Ölgemälden, die berühmte Freidenker bei
typischen Aktivitäten abbildeten: Thomas Paine, der sein Werk
Dös Zeitalter der Vernunft durch ein Kirchenfenster
schleudert, Baron d’Holbach, wie er Papst Leo XII. ausbuht,
sowie Bertrand Russell und David Hume beim Schachspiel mit
Krippenfiguren. (Vor zwei Wochen hatte er die Bildergalerie um ein
Selbstporträt ergänzt, eine Handlung, die vielleicht
anmaßend gewirkt hätte, wären auf dem Gemälde
nicht die schonungslos naturgetreue Wiedergabe seines fliehenden
Kinns und der unförmigen Nase zu sehen gewesen.) Heute jedoch
spendete ihm das heimelige Ambiente keinen Trost. Das Haus schien
düster und klamm zu sein, von den Horden der Unwissenheit
belagert zu werden. »Der Tanker ist mit etwas Ähnlichem wie
einem Bestattungsauftrag betraut«, erklärte er. »In
der Arktis ist ein Grab vorbereitet. Engel sollen gesehen worden
sein. Hört mal, ich gebe zu, das klingt alles völlig
verrückt, aber Cassandra fordert uns auf, uns vom vorhandenen
Beweis selbst zu überzeugen.«
    »Beweis?« wiederholte Pamela Harcourt. »Wie
kann da ein Beweis existieren?«
    »Sie schlägt vor, daß wir nach Senegal fliegen,
einen Hubschrauber mieten und uns das Schleppgut der Valparaíso anschauen.«
    »Menschenskind, Mann, warum, warum nur verschwendest du mit
so etwas unsere Zeit?« Winston Hawke, ein stets erregter,
nervöser Mann von kleinem Wuchs, für den der Niedergang des
Sowjetkommunismus lediglich ein Zwischenspiel vor der nächsten,
wahren Revolution abgab, sprang aus dem Sessel hoch. »Die
Baptisten greifen nach der Macht«, rief er, »die Idioten
marschieren, die Blöden stehen vor den Toren, und du erzählst uns hier so einen Scheiß über ’n
Supertanker und Gottes Leiche!«
    »Ich stelle einen

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