Das Gottesmahl
Antrag«, sagte Oliver. »Ich
beantrage, daß wir bis morgen abend eine Abordnung nach Dakar
schicken.«
»Das kann doch wohl unmöglich dein Ernst sein«,
antwortete Rainsford Fitch, ein eulenhafter Programmierer, der die
Nächte krummen Rückens an seinem Macintosh SE-30 zubrachte,
um komplizierte mathematische Widerlegungen der Existenz Gottes
auszuarbeiten. »Ich kann’s einfach nicht glauben.«
»Ich kann es selber kaum glauben«, gestand Oliver.
»Möchte jemand meinen Antrag trotzdem
befürworten?«
Die Kassiererin der Philosophischen Liga, Meredith Lodge, eine
Matrone von Steuerbeamtin, deren lebenslanger Ehrgeiz darauf
abzielte, den Mormonen endlich einen Steuerbescheid zuzustellen,
schlug ihre Kladde auf. »Wollen wir wirklich für so was
Geld verplempern?«
»Ich zahle alles aus meiner Tasche.« Oliver leerte das
Brandy-Glas. »Flugkarten, Hubschraubermiete…«
»Dürfte ich denn erfahren«, fragte Barclay Cabot,
der sich jede Mühe sparte, um sein spöttisches Schmunzeln
zu verhehlen, »ob der verblichene Jehova seinen Geschöpfen
irgend etwas vererbt hat?«
»Meine Frage lautete: Wer unterstützt meinen
Antrag?«
»Ach, ja natürlich«, spaßte Cabot,
»wir haben schließlich alle schon von Gottes Willen
gehört.« Beifälliges Lachen tönte durch den Saal.
»Ich hoffe, er hat mir was Hübsches vermacht. Den Colorado,
oder eventuell ’n Planetchen im Andromedanebel, oder
vielleicht…«
»Ich unterstütze den Antrag«, unterbrach ihn Pamela
Harcourt und lächelte entschlossen. »Und da ich gerade
dabei bin, ich melde mich freiwillig an die Spitze der Abordnung.
Also, was haben wir schon zu verlieren, Leute? Wovor
müßten wir uns fürchten? Uns ist doch allen
vollkommen klar, daß die Valparaíso Gott nicht im Schlepptau hat.«
Gott sei Dank, daß es Vierradantrieb gibt, dachte Thomas
Ockham, während er den Wrangler-Jeep in den ersten Gang
schaltete und die furchige, schwabbelige Steigung der
Stirnwölbung hinauflenkte. Jedes gewöhnliche Auto, sein
Honda Civic beispielsweise, hinge längst an einer Pustel fest
oder hätte sich in einer Hautfalte festgefahren. Er konnte sich
leicht eine glimmerige Reklame-Laufschrift an einer vergammelten
evangelischen Kirche in Memphis vorstellen: HEUTIGES PREDIGTTHEMA: ES
BRAUCHT EINEN VIERRADANTRIEB, UM GOTT DEN HERRN WIRKLICH
KENNENZULERNEN.
Als er die Hand vom Schalthebel hob, streifte er zufällig
Schwester Miriams linken Oberschenkel.
Ursprünglich hatte sie ihn nicht begleiten mögen.
»Ich bin noch gar nicht darauf vorbereitet, ihn so zu
sehen«, hatte sie eingewandt, war allerdings von Thomas darauf
hingewiesen worden, daß sie sich, wenn sie die Trauer jemals
verwinden wollten, zunächst unmittelbar mit dem Leichnam
konfrontieren mußten, mitsamt Pickeln, Muttermalen, Warzen,
Poren und allem Drumherum. »Das ist nun einmal die Logik des
Offenseins gegenüber der Wahrheit«, hatte er ihr
versichert.
Infolge Gegenwinds schwamm der Leichnam am folgenden Morgen tiefer
im Wasser, so tief immerhin, daß die auf dem Oberkörper
postierten Wachen über Sprechfunk von Brandung sprachen, die
gegen die Brustwarzen schwallte, und einem Tidebecken, das im Nabel
strudelte. Deshalb konnte der Wrangler nicht die ganze
Körperlänge befahren: das Kinn hinab, über den
Adamsapfel, über Brustkorb und Bauch. An sich um so besser.
Achtundvierzig Stunden zuvor hatte Thomas die volle Länge
abgefahren und auf dem Unterleib kurz gehalten, um einen Blick auf
die große, geäderte Walze zu werfen, die zwischen den
Beinen trieb (ein wahrhaft erschütternder Anblick, der Hodensack
wellte sich wie die Gaszelle eines unausdenklichen Luftschiffs), und
ihm widerstrebte es, ihn sich und Miriam gemeinsam zuzumuten. Der
Grund war nicht allein, daß inzwischen die Haie abscheuliche
Entstellungen angerichtet, wie eine Bande sadistischer mohel die Vorhaut weggefressen hatten. Gottes Penis nahm selbst in
gutem Zustand einen erstrangigen Platz auf der Liste der Dinge ein,
die ein Priester und eine Nonne sich nicht gemeinsam anschauen
konnten.
Er überquerte die Stirn in Richtung des steilen Gefälles
in die vom Wind durchfegte Senke der Nasenwurzel, der die große
Nase entsprang.
Sachlich besehen, hatten Seine Hoden eigentlich gar keinen Sinn;
sie könnten sogar dazu ausgenutzt werden, um die Echtheit des
Leichnams in Zweifel zu ziehen. Doch solche Einwände, meinte
Thomas, stanken nach Hybris. Falls der Schöpfer einst daran
Interesse verspürt haben sollte (egal aus
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