Das Gottesmahl
zutiefst düsterer Miene schlurfte Sylvia Endicott zur am
Kamin aufgestellten Büste Charles Darwins.
»Unterstellen wir einmal für den Moment, daß die Valparaíso wirklich im Schlepp hat, was Cassie Fowler
behauptet«, meinte sie. »Sollten wir dann nicht gemeinsam
den Mut oder wenigstens den schlichten Anstand aufbringen zu
gestehen, daß wir uns all die Jahre lang geirrt haben?«
»Geirrt?« wiederholte Rainsford Fitch.
»Jawohl, geirrt.«
»Das ist eine ziemlich weitgehende Formulierung«, wandte
Barclay Cabot ein.
»Wahrscheinlich ist es an der Zeit, unsere Vereinssatzung zu
überarbeiten«, gab Taylor Scott zu, paffte an einer
türkischen Lulle, »aber wir sollten das Kind nicht mit dem
Bad ausschütten. Die theistische Welt war ein Alptraum, Sylvia.
Hast du die Hexenverfolgungen der Renaissance vergessen?«
»Aber wir verhalten uns unehrlich.«
»Den Prozeß gegen Galilei? Das Massaker an den
Inkas?«
»Ich habe nichts davon vergessen, aber ebensowenig lasse ich
die wissenschaftliche Neugier außer acht, die als das Sine
qua non unserer Vereinigung gilt.« Sylvia Endicott zog sich
den Wollschal enger um die Schultern, ihren hauptsächlichen
Schutz gegen den künstlichen Winter, der in den Mauern
Montesquieu Halls klirrte. »Wir sollten den Leichnam untersuchen und nicht unter den Teppich kehren.«
»Betrachten wir den Fall mal unter anderem
Gesichtspunkt«, entgegnete Winston Hawke. »Sicher,
irgendeine Art ungewöhnlich großen Wesens wird
gegenwärtig zur Arktis geschleppt, und von uns aus soll es ruhig
der Schöpfer sein, der die Sterne an den Himmel gehängt,
die Erde geschaffen und aus Erde Adam gemacht hat. Aber beweist das,
daß es Gott ist? Der Ewige und Allmächtige? Das
Alpha und Omega? In erster Linie ist es tot, herrje. Was soll
das für ein ›Höchstes Wesen‹ sein, das es so weit
kommen läßt, daß es irgendwann mausetot auf dem Meer
treibt?«
»Das kann nur ein falsches ›Höchstes Wesen‹
sein«, schlußfolgerte Fitch.
»Ganz genau«, bekräftigte Hawke. »Eine
Fälschung. Betrug, Schwindel. Natürlich besteht das Problem
darin, daß Logik auf die leichtgläubigen Massen keinen
Eindruck macht. Ein Relikt dieser Sorte dient ihr bloß zur
Untermauerung ihres Glaubens. Ergo muß dieser Nichtgott-Gott im
Interesse der Allgemeinheit und im Namen des gesunden
Menschenverstands aus der Welt verschwinden.«
»Winston, ich bin tief betroffen.« Die Arme
verschränkt, richtete Sylvia Endicott ihren durchdringenden
Blick streng auf den Marxisten. »Du redest vom gesundem
Menschenverstand? ›Im Namen des gesunden
Menschenverstands‹, sagst du? Man kann in deiner Einstellung
keinerlei Verstand erkennen. Das ist atheistischer
Fundamentalismus.«
»Wir wollen hier doch keine Wortklauberei
betreiben.«
Sylvia Endicott zerrte sich den Schal herunter, hinkte in den Flur
und riß die Haustür auf. »Liebe Vereinsfreundinnen
und -freunde, ihr laßt mir keine Wahl!« zeterte sie,
während die Julihitze ins eisige Haus schwallte. »Die Ehre
gestattet mir nur einen gangbaren Weg – ich muß aus der
Philosophischen Liga für moderne Aufklärung
austreten.«
»Reg dich ab, Sylvia«, riet Pamela Harcourt.
Die alte Dame trat hinaus in den feuchtschwülen Abend.
»Habt ihr mich verstanden, ihr intellektuellen
Pharisäer?« keifte sie über die Schulter. »Ich
erkläre meinen Austritt. Unwiderruflich.«
Olivers Magen krampfte sich zusammen. Ihm wurde die Kehle trocken.
Gottverdammt noch mal, in gewisser Hinsicht war Sylvias Argument
durchaus stichhaltig.
»Erinnere dich an die Plünderung Jerusalems!«
schrie Winston Hawke ihr nach, als die Haustür zuknallte.
»Und die Belagerung Belfasts!« brüllte Rainsford
Fitch.
»Das Gemetzel an den Hugenotten!« heulte Meredith
Lodge.
Ein Argument – aber mehr hatte sie nicht vorzuweisen, befand Oliver. Ein rein akademisches Argument, und
unterdessen war die Kacke am Dampfen.
»Laßt uns mal Näheres über den erwähnten
Hoffnungsstrahl hören«, verlangte Pamela Harcourt.
Barclay Cabot schlenderte zum Kamin, wärmte sich am
Züngeln der Flammen die Hände. »Wahrscheinlich habt
ihr noch nie von Pembroke und Flumes Zweiter-Weltkrieg-
Militärdrama-Gruppe gehört, aber der Name entspricht im
großen und ganzen ihrem Hobby. Die Gründer sind zwei
ehrgeizige junge Veranstalter, die eingemottete B-Siebzehn-Bomber,
Kriegsschiffe und ähnliches aufkaufen, hungerleidende
Schauspieler, arbeitslose Matrosen und pensionierte Kampfflieger
anwerben, um
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