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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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abermals mit Rom
Verbindung aufgenommen. »Geht unsere zeitweilige ethische
Zerrüttung nach Ihrer Ansicht auf eine durch den göttlichen
Verwesungsprozeß erzeugte, meßbare Emanation
zurück«, hatte der letzte Satz seines Fax gelautet,
»oder auf einen durch Theothanatopsis, d.h., den Gedanken an den
Leichnam, hervorgerufenen subjektiven psychischen Effekt?«
    Darauf hatte Kardinal Tullio di Luca lediglich die Gegenfrage
gestellt: »Wieviel Fahrtzeit wird nach Ihrer Schätzung
durch diese Entwicklung verloren?«
    Vor der Zelle saß Joe Spicer der Lange, eine Signalpistole
bedrohlich um die Schulter geschnallt, auf dem Schoß das Playboy- Klappbild entfaltet, auf einem Alu-Stuhl.
    »Hallo, Joe. Ich möchte Weisinger besuchen.«
    Spicers Brauen schwuppten verdrießlich nach oben.
»Warum?«
    »Weil er zweifellos eine gequälte Seele ist.«
    »Ach wo, er ist so gut drauf wie ’n Fisch im
Wasser.« Der Zweite Offizier schob einen Dietrich aus
angelaufenem Messing ins Schloß, drehte ihn so ruckartig wie
ein Rennfahrer den Zündschlüssel. »Hören Sie zu.
Wenn der Lümmel Ihnen irgendwie blöd kommt« – er
tatschte die Leuchtpistole – »rufen Sie, und ich stecke ihm
die Frisur in Brand.«
    »Ich sehe Sie gar nicht mehr in der Messe.«
    »Damit ist’s wie mit dem Ficken, Pater. Man muß
dazu in Stimmung sein.«
    Als Thomas die Zelle betrat, verschlug ihm der pestilenzartige
Gestank nach Schweiß, Urin und chemisch behandelten
Fäkalien regelrecht den Atem. Weisinger lag, nackt bis zur
Hüfte, in der Koje, starrte zur Zellendecke hinauf wie ein Opfer
vorzeitiger Beerdigung, das über den Sargdeckel nachdachte.
    »Hallo, Neil.«
    Der junge Mann wälzte sich herum. Seine Augen waren
stumpfmatt und grau wie ausgebrannte Glühbirnen. »Was wolln
Sie?«
    »Mit Ihnen sprechen.«
    »Worüber?«
    »Über das, was in Zentraltank zwo geschehen
ist.«
    »Haben Sie Zigaretten?« erkundigte sich Weisinger.
    »Ich wußte nicht«, sagte Thomas, »daß
Sie Raucher sind.«
    »Ich bin keiner. Haben Sie welche?«
    »Nein.«
    »Ich könnte mir doch mal ’ne Zigarette gönnen.
Immerhin ist ein Judenhasser abgeschrammt.«
    »Zook hat Juden gehaßt?«
    »Er dachte, wir hätten Jesus getötet. Gott. Einen
von denen. Welcher Tag ist heute eigentlich? Hier unten geht einem
jedes Zeitgefühl flöten.«
    »Es ist Donnerstag, der neunundzwanzigste Juli. Mittag. Haben
Sie ihn getötet?«
    »Gott? Nicht doch. Zook? Ich hätt’s gerne
getan.« Weisinger stieg aus der Koje und taumelte zum Schott,
kniete sich neben seinen Wasservorrat, einen verbeulten Kupferkessel
voller Flüssigkeit von der Farbe bayerischen Schwarzbiers.
»Haben Sie schon mal einen Augenblick völliger, purer
Klarheit erlebt, Pater Thomas? Je mit ’m Schweizer Armeemesser
in der Hand vor einem Erstickenden gestanden? Da gibt’s
plötzlich nicht die kleinste Trübung mehr in Ihrem
Gehirn.«
    »Sie haben Zooks Sauerstoffschlauch aufgeschnitten?«
    »Natürlich hab ich seinen Schlauch
kaputtgeschnitten.« Der junge Seemann spritzte sich
Händevoll schmutzigen Wassers auf die wachsbleiche Brust.
»Aber vielleicht war er schon tot. Haben Sie auch daran gedacht?«
    »War er’s?« fragte Thomas.
    »Und wenn, was soll’s?«
    »Das wäre ein großer Unterschied.«
    »Jetzt nicht mehr. Es ist vorbei mit der Beaufsichtigung,
Tommy, alter Junge. Kein Auge wacht mehr über uns. Die
Gesetzestafeln sind dahin, zisch-zisch, wie
Alka-Seltzer-Tabletten in ’m Glas Wasser. Seien Sie ehrlich,
merken Sie’s nicht auch? Träumen Sie nicht von Ihrer
Freundin Miriam und ihren Weltklassetitten?«
    »Ich möchte keineswegs so tun, als hätte sich hier
in letzter Zeit nicht alles etwas verwirrend gestaltet.« Thomas
biß die Zähne dermaßen gewaltsam zusammen, daß
es in seinem rechten Mittelohr kribbelte. Tatsächlich dachte er
seit kurzem äußerst intensiv über Schwester Miriam
nach, auch die von Weisinger näher bezeichneten Eigenheiten. Er
hatte ihnen, Gott stehe ihm bei, sogar Namen gegeben: Wendy und
Wanda. »Ich bestreite nicht, daß die Vorstellung, Gottes
Leichnam wird von uns übers Meer geschleppt, eine Gefahr
für das Schiff verkörpert. Ich räume vollständig
ein, daß Anno Postdomini Eins angebrochen ist.«
    »Zisch, sprüh, und schon darf ich jeden Gedanken
haben, der mir paßt. Ich kann mir ausmalen, ich nehme ’ne
Black-und-Decker-Bohrmaschine und drille Tante Sarah die Augen raus.
Ich bin frei, Tommy.«
    »Sie sind im Bordgefängnis.«
    Weisinger schöpfte mit einem

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