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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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    Wie Spinnen an Silberfäden sauste vom Wetterdeck ein Paar
Atemschutzgeräte herab. Hellorange glänzten die
Sauerstoffbehälter im Lichtkegel aus Neils Helmlampe. Wild
wackelten die schwarzen Masken und blauen Schläuche,
verschlangen sich umeinander. Neil sprang vor, krümmte die
gefühllosen Finger und enthedderte das Gummigewirr.
    »Zyklon was?« fragte Zook.
    Neil bekam eine birnenförmige Atemmaske in die Hände. In
rasender Hast schlang er die Gummigurte um den Kopf. Er tastete nach
dem Ventil, umklammerte es, drehte das Handgelenk. Es klemmte. Er
versuchte es noch einmal. Es klemmte. Ein drittes Mal. Es bewegte
sich. Einen Zentimeter. Zwei. Luft! Neil schloß die Lider,
atmete gierig, saugte durch Mund, Nase, Poren köstlichen
Sauerstoff ein. Luft, herrlicher Sauerstoff, der wie eine unsichtbare
Breipackung seinem Gehirn das Gift entzog.
    Er schlug die Augen auf. Kommandant Zook hockte auf dem
Fußboden, seine Haut war weiß wie ein Champignon, mit
gespitzten Lippen ächzte er vor sich hin. Mit einer Hand
preßte er sich die Atemmaske aufs Gesicht. Die andere Hand
umkrallte das Ventil auf der Sauerstoffflasche, als wollte eine
Riesenzecke Blut abzapfen.
    »Hilf mir…«
    Neil brauchte mehrere Sekunden, bis er Zooks Situation begriff.
Der Nazi war gänzlich erstarrt, gelähmt durch eine
entsetzliche Verbindung aus Hirnbeeinträchtigung und Furcht.
    »Seuchen«, sagte Neil. Er humpelte er zu Zook, schleifte
den Sauerstoffbehälter nach.
    »Bi-bitte…«
    Ein Gefühl des Freiseins durchjagte ihn wie die
plötzliche Wirkung von Kokain. YHWH wachte nicht mehr. Keine
Augen beobachteten Neil. Er durfte tun, was ihm paßte. Er
konnte dem Kommandanten das Ventil öffnen – oder den
Sauerstoffschlauch entzweischneiden. Ihm Sauerstoff aus dem
funktionierenden Atemschutzgerät zuführen – oder ihm
ins Gesicht spucken. Alle durfte er tun. Oder nichts.
    »Hunger«, krächzte Neil.
    Das Stöhnen des Kommandanten verstummte. Sein Kinn
erschlaffte. Seine Augen wurden stumpf und milchig, als wären
sie aus Quartz.
    »Krieg«, raunte Neil dem Leichnam Leo Zooks ins
Gesicht.
    Er klaubte sein Schweizer Armeemesser aus der Brusttasche,
drückte den Daumennagel in die Kerbe der Speerspitzenklinge,
klappte sie heraus. Fest umklammerte er den roten Messergriff, stach
zu; die Schneide zertrennte das Gummi so mühelos, als wäre
es Seife. Er lachte laut, schwelgte in seiner Freiheit, brachte dem
Sauerstoffschlauch des Nazis einen langen, gezackten Einschnitt
bei.
    »Tod.«
    Neil kauerte neben dem Erstickten, trank wundervollen Sauerstoff
und lauschte dem gedämpften, gleichmäßigen Hufschlag,
mit dem sich die Reiter der Apokalypse entfernten.

 

     
    Zu erfahren, daß die als Illusion erachtete Gottheit des
Judäo-Christentums tatsächlich einmal Himmel und Erde
beherrscht, die Realität gelenkt und die Bibel diktiert hatte,
bedeutete für Oliver Shostak die schlimmste Erfahrung seines
Lebens. Auf der Stufenleiter seiner Enttäuschungen übertraf
es bei weitem den schon mit fünf Jahren gezogenen Schluß,
daß es sich beim Weihnachtsmann um krassesten Schwindel
handelte, die mit siebzehn Jahren gemachte Entdeckung, daß sein
Vater heimlich das Mädchen fickte, das die
Weimaraner-Vorstehhunde der Familie Gassi führte, und sogar die
ihm am zweiunddreißigsten Geburtstag, als er die Kuratorin der
Galerie Castelli in SoHo gebeten hatte, die Glanzstücke seiner
abstrakt-expressionistischen Periode auszustellen, widerfahrene
Zurückweisung. (»Der große Nachteil dieser Bilder
ist«, hatte die bockige alte Krähe erklärt,
»daß sie nichts taugen.«) Aber die bitteren
Früchte der gerade durch Pamela Harcourts vorgenommenen
Exkursion ließen sich nicht leugnen: ein Dutzend Farbfotos
einer riesigen, auf den Fluten ausgestreckten Männergestalt mit
grinsendem Gesicht, den ein Supertanker an den Ohren nordwärts
durch den atlantischen Ozean zerrte. Die Vergrößerungen,
30x40 Zentimeter, hingen jetzt wie Ahnenporträts im Westsaal
Montesquieu Halls – und auf gewisse Weise waren sie wirklich
Porträts eines Ahnen.
    »Unsere Taten der vergangenen Tage sind, wenn ich’s mal
so mythologisch formulieren darf, herkulischer Natur gewesen«,
begann er seinen Bericht, ehe sich sein hageres Gesicht zu einem
Gähnen verzog. »Zu unserer Erkundungsreise gehörten
Zwischenstops in Asien, Europa, Nahost…«
    Oliver konzentrierte sich auf die Vergrößerungen. Sie
kotzten ihn buchstäblich an. Keine Feministin, die man zwang,
ein

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