Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
gab
Italiens Mülltonne ab, Englands Abfalleimer, Deutschlands
Senkgrube, Frankreichs Pissoir.
    Eine Hand auf Nase und Mund gepreßt, eilte Anthony an einem
hohen Stapel chemischer Rückstände vorbei, Hunderten von
Zweihundertfünfzigliterfässern, aufgetürmt zu einer
Art postindustrieller Aztekenpyramide. Anderthalb Kilometer dahinter
lagen die Wracks von über tausend Autos. Die ausgeschlachteten
Karosserien hatten Ähnlichkeit mit Skeletten, die die Auffahrt
zu einem Schlachthaus säumten. Danach entdeckte er
Haushaltsgeräte: Rührmaschinen, Toaster,
Gefrierschränke, Mikrowellenherde, Radios, Geschirrspüler
– und obwohl offenbar alles willkürlich entsorgt worden
war, fügte es sich insgesamt dennoch zu einem seltsam
einheitlichen Umfeld zusammen, der Kulisse für eine
posttheistische Comedy-Sendung, in der eine vergreiste, debile Donna
Reed (allein in der Küche) ausheckte, wie sie ihre Familie
vergiften könnte.
    Die Abenddämmerung stellte sich ein, nahm der Insel die
Wärme und färbte den roten Sand schwarz. Anthony
schloß den Reißverschluß der Baseballjacke, entnahm
dem Rucksack die Flasche Monte Alban und trank, ehe er weiterstapfte,
einen langen, brennendheißen Zug.
    Eine Stunde später traf er auf die Götter.
    Vier Gottheiten, um genau zu sein: vier über fünf Meter
hoher Granitbildnisse, eines an jeder Ecke eines verschlickten
Fliesenpflaster-Platzes. Ein Keuchen drang von Anthonys Lippen. Es
mußte als merkwürdig genug bewertet werden, daß die
Van-Horne-Insel überhaupt existierte, und als noch
unwahrscheinlicher gelten, daß einmal Menschen sie bewohnt
hatten – vielleicht im hiesigen Atlantik die Entsprechung des
freudlosen Stamms, der einst auf den Osterinseln hauste. An der
Nordecke stand das gemeißelte Abbild eines rundlichen Trinkers,
der einen Weinschlauch hoch über den weit offenen Mund hob und
sich einen Strahl des Getränks in den Rachen schüttete. Im
Osten befand sich ein Schlemmer mit Hamsterbacken und einem Wanst in
der Größe einer Abrißkugel, versuchte einen ganzen,
lebenden Eber zu verschlingen. Südlicherseits mampfte ein
glotzäugiger Opiumesser einen Strauß Mohnblumen. Im
westlichen Winkel schickte ein Pucker, der eine so kolossale Erektion
hatte, daß er auf einer Wippe zu hocken schien, sich an, ein
Walroßweibchen zu penetrieren. Auf dem Weg von einer zur
nächsten Statue hatte Anthony andauernd das Empfinden, in die
Vergangenheit verschlagen worden zu sein, in eine Zeit, als man
Todsünden noch regelrecht zelebrierte – nein, eigentlich
nicht, es hatte mehr den Anschein, als wären Sünden damals
noch unbekannt gewesen, hätte man schlicht und einfach den
Neigungen nachgegeben, wie und wann man sie verspürte, ohne sich
sonderlich den Kopf über die Einstellung zu zermartern, die
irgendein hypothetisches Höchstes Wesen von solchem Benehmen
haben mochte. Die Götter der Van-Horne-Insel erließen
keine Gebote, verhängten keine Strafen und erheischten keine
Verehrung.
    Irgendwann knipste Anthony, während sich die Nacht über
das Pantheon senkte, die Stablampe an. In der Mitte des Platzes
stützten steinerne Löwenpfoten eine enorme Marmortafel. Der
Kapitän lenkte den Lichtkegel über die Oberfläche des
Altars. Blutrinnen. Matsch. Zermalmte Austernschalen. Gräten
eines Barschs.
    Dahinter gab es auf einer freistehenden Mauer eine Reihe
schauriger Unterweisungsdarstellungen zu sehen. Sie waren, begriff
Anthony, eine Art von Gebrauchsanweisung für den Altar, zeigten
die günstigste Lage des Opfers, den vorteilhaftesten Winkel zum
Ansetzen des Dolchs und die richtige Methode, um aus einem
menschlichen Unterleib die Innereien zu entfernen.
    Dem Fries zufolge mußten die Götter der Insel Liebhaber
der Eingeweide sein. Nachdem man sie ihrem schlüpfrigen Sitz
entnommen hatte, waren Zwölffinger-, Dünn- und Dickdarm
offenbar in Tongefäße gefüllt worden, die man dann
mit dem noch dampfenden Inhalt zu den Standbildern brachte. Eine
gezackt-sternförmige Scherbe einer solchen Terrine lag zu
Anthonys Füßen. In einem Gefühlsgemisch aus Furcht
und Ekel stampfte er mit dem Fuß auf das Bruchstück, als
zerträte er eine Küchenschabe. Auch im Laufe der bisherigen
Fahrt hatte zu ihrem Schleppgut, dem Corpus Dei mit dem
süßsauren Lächeln, dem Oberrichter mit seinem ewigen
Grinsen, wenig Zuneigung entwickelt, auf einmal jedoch kam es ihm
durchaus so vor, als wäre der jüdisch-christliche
Monotheismus ein Fortschritt gewesen.
    Müdigkeit schlich sich in die

Weitere Kostenlose Bücher