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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Transportaktion steuerbords in der
Achselhöhle vertäut hatte. Thomas und Miriam ließen
den Wrangler stehen, kletterten die Jakobsleiter hinunter, krochen
auf Händen und Füßen über den Landungssteg, der
heftig wippte, und sprangen ins Motorboot.
    »Wie fühlst du dich?« erkundigte sich Thomas und
setzte sich ans Steuer.
    »Schuldig.« Miriam holte die Taue ein. »Wir haben
gesündigt, nicht wahr? Weil wir uns einer dem anderen nackt
gezeigt haben.«
    »Wir haben gesündigt«, pflichtete Thomas ihr bei,
indem er den Zündschlüssel drehte. »Du bist
schön, Miriam.«
    »Du auch.«
    Er wendete die Juan Fernández, brachte den Motor auf
Hochtouren und steuerte das Motorboot über die unter den
Wasserspiegel gesunkenen Armbeuge hinweg. Längs der Wange
herrschte wüster Seegang, der das Steuern erschwerte, und es
dauerte fast fünfzehn Minuten, bis sie aufs offene Meer
gelangten. Gerade voraus schwamm der Supertanker, die Aufbauten vom
Nebel umschleiert, der Rumpf ruckte und zuckte, als hätte er mit
der See Geschlechtsverkehr.
    »Und wie fühlt Schuld sich an?« fragte Thomas,
lenkte das Motorboot auf einen Kurs an der steuerbordseitigen
Schleppkette entlang.
    »Mies«, gab Miriam zur Antwort.
    »Mies«, stimmte Thomas zu.
    »Allerdings fühlt Schuld sich längst nicht so mies
an«, schränkte Miriam nach kurzem Überlegen ein,
»wie sich Tanzen schön anfühlt.«
    In diesem Moment erhob sich die Valparaíso – entgegen jeder Logik, der Schwerkraft zuwider, Newtons Physik zum
Hohn – aus dem Ozean. Während er die Ellbogen gegen das
Steuerrad stemmte, riß Thomas sich die beschlagene
Bifokal-Brille herunter und wischte die Gläser am Ärmel
trocken. Dann drückte er sie sich wieder auf die Nase. Ja, es
geschah wahrhaftig, der Supertanker bewegte sich himmelwärts,
gewaltige Schwälle von Seewasser rauschten von Rumpf und Kiel
herab. Thomas entfuhr ein Stöhnen. Was für geheimnisvolle
Kräfte rangen im neuen, normenlosen Universum um Freiwerdung?
Was hatte Gottes Tod angerichtet?
    Dann erblickte er des Rätsels Lösung. Eine Insel. Eine
etwa zehn Kilometer langer Inselrücken aus zerklüfteten
Buchten und rötlichen Klippen tauchte aus dem Golf von
Cádiz auf wie ein Wal und hob das Tankschiff aus dem Atlantik.
Das Aufsteigen der Landmasse erzeugte hohe Wellen, die Gischt
verspritzten und Treibgut verstreuten, während sie
südwärts rollten und gegen die göttliche
Schädeldecke brandeten.
    »Ach du Schande«, ächzte Miriam. »O
Scheiße, ach du Scheiße…«
    Plötzlich tönte ein Krack über den
Portugalstrom, ein Bersten, das nach dem Aufplatzen der Schale eines
gigantischen Eies klang – in Gottes Ohr, begriff Thomas sofort,
waren die Knochen zerknackt –, ein Geräusch, das noch nie
zuvor ein Mensch vernommen hatte.
    Als das Heraufschwellen der neuentstandenen Insel endlich endete
– mit den Folgen, daß die Valparaíso gestrandet war, der Corpus Dei abtrieb und von nun an
sämtliche Seekarten des Golfs von Cádiz als veraltet
gelten mußten –, faßte Miriam die knochige, zittrig
gewordene Hand des Geistlichen. »Herrjesses, Tom, wir haben Ihn verloren.«
    »Wir haben Ihn verloren«, wiederholte Thomas.
    »Erst haben wir ihn gefunden, und jetzt haben wir ihn
verloren. Was bedeutet das? Liegt es an unserem Versagen?«
    »Unserem Versagen? Das glaube ich kaum.«
    »Aber wir haben uns versündigt«, sagte die
Nonne.
    »Aber nicht in dem Maße«, erwiderte Thomas
und deutete auf die unvorhergeahnte insulare Landmasse.
    Dann sank der Jesuit Thomas Wickliff Ockham, seines Gottes und der
Selbstachtung verlustig gegangen, vornüber aufs Steuerrad und
brach in Tränen aus.

 

     
    Anthony konnte nicht zu lachen aufhören. Seit er zum New
Yorker Hafen hinausgedampft war, erkannte er jetzt, hatte das
Universum nach einem besonders ausgeklügelten, grausamen
Spaß gesucht, den es sich mit ihm zu leisten gedachte, und
endlich diese Idee verfallen. Schiebe eine blödsinnige kleine
Insel aus dem Golf von Cádiz. Laß van Hornes Schiff
auflaufen. Klau ihm das Schleppgut.
    Einfach zum Totlachen.
    Auf der Brücke drängten sich etliche Leute. Sobald
feststand, daß die Valparaíso auf Grund gelaufen
war, hatte es beinahe jeden oberhalb des Vollmatrosenrangs instinktiv
zum Kapitän getrieben, um von ihm, obwohl er genauso ratlos war
wie die Besatzung, eine Erklärung für das nachgerade irre
Erscheinen dieser Insel zu fordern. Jetzt drängten sich alle um
die Steuerpulte und Radarschirme – Offiziere,

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