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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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dem
Maschinenleitstand und wies Lou Chickering an, jemanden mit dem
Befehl zum Bug zu schicken, den Backbord-Warpanker abzulassen.
    »Crock hat gesagt, wir liegen fest und auf ’m
Trockenen«, wandte Chickering ein. »Auf ’n Atoll
gelaufen, stimmt’s?«
    »So ähnlich.«
    »Haben Sie Sorge, wir könnten abgetrieben werden,
Sir?«
    »Tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie den
Scheißanker werfen, Mr. Chickering.«
    Rafferty steckte sich eine Pall Mall zwischen die Lippen.
»Wenn Sie einverstanden sind, Kapitän, möchte ich
gerne mit einem Erkundungstrupp von Bord gehen.«
    Logischerweise war das der nächste erforderliche Schritt;
allerdings war Anthony sich darüber im klaren, daß er
selbst der erste Mensch sein mußte, der die nach seinem Vater
benannte Insel betrat und Bestandsaufnahme machte. »Danke, Mr.
Rafferty, aber diese Aufgabe behalte ich mir allein vor. Es geht um
etwas Persönliches. Erwarten Sie meine Rückkehr am
späten Abend.«
    »Kurs beibehalten?« fragte der Erste Offizier mit
ausdrucksloser Miene.
    »Kurs beibehalten«, bestätigte Anthony, ohne mit
der Wimper zu zucken.
     
    Im Lift fuhr er nach Deck 3 hinab, suchte erst seine Kabine und
anschließend die Bordküche auf, um für die
Erschließung der Van-Horne-Insel einiges an Ausstattung
einzupacken: Lebensmittel, Trinkwasser, Kompaß, Stablampe, eine
Flasche Monte-Alban-Meskal mitsamt eingelegtem Oaxaca-Wurm.
Anschließend ging er hinunter aufs Wetterdeck, strampelte auf
O’Connors Mountainbike über den Laufsteg bugwärts,
betrat das Vorschiff und krauchte in die feuchte, tangige Enge des
Klüsenrohrs.
    An der Ankerkette hinabzusteigen, erwies sich als auf gefahrvolle
Weise schwierig und sehr unangenehm – die Kettenglieder waren
glitschig, und das rauhe Metall schürfte die Hände auf
–, doch eine Viertelstunde später stand Anthony auf dem
weichen Grund der Insel.
    Das schilferig-körnige, weinrote Gemenge, aus dem die
Dünen der Umgebung bestanden, sah mehr nach Rost als wie der
zuckerbraune Sand aus, den man gewöhnlich längs des 35.
Breitengrads vorfand. Der Anblick der Insel nervte Anthony. Sie glich
weniger einer Insel des Golfs von Cádiz als einem aus der
Kruste eines einzigartig leblosen, toten Planeten gebrochenen
Meteor.
    Die Valparaíso hatte beträchtliche,
häßliche Schäden davongetragen. Ihr Steuerruder war
in der Unterhälfte um ungefähr zehn Grad geknickt. Den Kiel
hatte es dermaßen zerkerbt, daß er einem Sägemesser
ähnelte.
    An der Backbordseite hatte sich die Schraubenwelle gelockert, und
die Schiffsschraube selbst stand aufrecht zwischen Dünen,
erinnerte an die Flügel einer abgesunkenen Windmühle. Ohne
Zweifel schwere Beschädigungen, nicht so ernst jedoch, daß
es einem erfahrenen Skipper unmöglich gewesen wäre, ihre
Auswirkungen durch ein paar schiffsführerische Kunstgriffe und
schlaue Manöver auszugleichen. Hauptsächlich kam es auf den
Rumpf an, gewissermaßen das einzige unentbehrliche Organ eines
Schiffs. Anthony betrachtete die mit Entenmuscheln überwucherten
Rumpfplatten; strich mit den Fingern über den Stahl, und ebenso
mit der Engelsfeder. Wie eine alte Operationsnarbe verlief
steuerbords eine fast sechzig Meter lange, unregelmäßige
Schweißnaht, eine Anthony verhaßte Mahnung an die
Kollision mit dem Bolivar-Riff, aber die Schweißnaht
hinterließ einen intakten Eindruck; tatsächlich war allem
Anschein nach der gesamte Rumpf unversehrt geblieben. Einmal
angenommen, sie schafften es, den Tanker freizuschaufeln, durfte
nahezu mit Sicherheit erwartet werden, daß er schwamm.
    Anthony trat um etliche Schritte zurück. Ähnlich wie
einst die Arche auf dem Berg Ararat ruhte der Tanker auf einer
Erhebung aus Sand, Schlamm, Korallen, Gestein und Muscheln. Lasch
hing an der Heißleine die Flagge des Vatikans. Vom Heck
baumelten schlaff die Schleppketten auf die Dünen herab und
entschwanden im Meer. Anthony setzte die Spiegelbrille auf; sein
Blick suchte die Bucht in der Hoffnung ab, die Fracht könnte
wundersamerweise in die Untiefen geschwemmt worden sein, doch er
erspähte nichts außer schroffen Felsen und Gewölk
wattegleicher Nebelbänke.
    Er kramte den Kompaß aus dem Rucksack, orientierte sich und
wandte sich nach Norden.
    Je weiter Anthony wanderte, um so offensichtlicher wurde,
daß die Van-Horne-Insel unter einer ausgedehnten unterseeischen
Müllkippe gelegen hatte. Beim Emporsteigen vom Meeresboden hatte
sie den Abfall eines halben Erdteils ans Tageslicht gebracht. Sie

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