Das Gottesmahl
Maschinisten,
Smutje, Pumpenmann –, veranstalteten ein Durcheinander wie eine
Versammlung von Zeugen Jehovas, die das unmittelbare Bevorstehen des
Weltuntergangs erwartete. Anthony spürte ihre Feindschaft. Er
bemerkte ihren Widerwillen. Er wußte, was sie dachten. Nie
wieder, schwor sich jeder dieser Seeleute. Nie wieder fahre ich mit
Anthony van Horne.
»Ich nehme an, ich kann die Maschinen abschalten«, sagte
Dolores Haycox, die diensthabende Offizierin, beugte sich über
die Hebel.
Bis zu diesem Augenblick war Anthony nicht bewußt gewesen,
daß sich die Schiffsschrauben noch sinnlos in der Luft drehten.
»Na klar, abschalten«, befahl er lachend.
»Das Steuerrad festzuhalten, dürfte wohl auch
überflüssig sein, was?« fragte James Schreiender
Falke, der heute als Steuermann eingesetzte Vollmatrose.
»Sehr richtig«, antwortete der Kapitän
kichernd.
»Was finden Sie eigentlich so beschissen lustig?« fragte
Bud Ramsey.
»Sie verstünden’s doch nicht.«
»Versuchen Sie’s mal.«
»Das Universum.«
»Hä?«
Während er am eigenen Gelächter fast erstickte, packte
Anthony das Mikrofon der Sprechanlage. »Achtung, alles
herhören! Alles herhören! Wie Sie selbst sehen, Leute,
stecken wir da ein Stück weit in der Scheiße!« Seine
elektronisch verstärkte Stimme bollerte übers Wetterdeck
und verklang in den im Nebel nur undeutlich sichtbaren Dünen
ringsum. »Freizukommen dauert mindestens drei, vielleicht vier
Tage, danach suchen wir den Leichnam, nehmen ihn wieder in
Schlepp« – es kostete ihn Mühe, der eigenen
Ankündigung Glauben zu schenken – »und setzen die
Fahrt fort.«
Das vordringliche Problem war, wie er wußte, nicht das
Freibekommen der Valparaíso, sondern das Erfordernis,
einfach erst einmal von Bord zu klettern und den Schaden zu
besichtigen. Vorerst waren sie nämlich in ihrem Schiff
Gefangene, so wie das Plastikmodell der USS Constitution, das
sein Vater in den Glasbehälter hatte einschließen lassen,
von allem abgeschnitten. Auf allen Seiten fiel der Rumpf des
gestrandeten Tankers senkrecht auf nassen Sand ab, und keine Gangway
oder Jakobsleiter konnte den Höhenunterschied
überwinden.
»He, hat einer von euch schon mal so was gehört?«
lamentierte Charlie Horrocks. »Da kommt mir nichts, dir nichts
’ne Insel zum Vorschein. Hat jemand so was schon mal
gehört?«
»Ich nicht«, bekannte Bud Ramsey.
»So was gab’s noch nie«, behauptete Joe Spicer der
Lange. »Selbst auf einer so unheimlichen Fahrt, wie wir sie
gerade machen, hat’s etwas derartiges überhaupt noch
niemals gegeben.«
»Kann sein, Pater Thomas weiß ’ne
Erklärung«, meinte Lianne Bliss. »Er ist doch ’n
Genie, oder nicht? Wo ist Pater Thomas?«
»Wenn auf dieser Fahrt noch mehr Schiet passiert«, sagte
Sam Follingsbee, »raste ich aus.«
»Glauben Sie wirklich, wir kommen je wieder
frei?« fragte Crock O’Connor, rieb sich das alte Brandmal,
das er infolge einer Verbrühung durch Dampf an der Stirn
hatte.
Gute Frage, dachte Anthony. »Selbstverständlich.«
Mit dem Zeigefinger schabte er an der Spitze seiner gebrochenen Nase.
»Der Glaube versetzt Berge, und die Handelsflotte der
Vereinigten Staaten ist auch dazu imstande.«
»Wollen Sie meine Ansicht hören?« fragte Marbles
Rafferty. »Unsere einzige Hoffnung ist, daß die verfluchte
Drecksinsel so plötzlich wie’s aufgetaucht ist, mit ’m
gewaltig lauten Wuuusch, ins Meer zurücksinkt.«
»So?« meinte Dolores Haycox. »Na, darauf würde
ich mich lieber nicht verlassen. Wenn Sie mich fragen, ’s
sieht aus, als ob sie bleibt, und wir bleiben auch hier, in ’m
eigenen Privatparadies.«
»Privatparadies«, wiederholte Anthony. »Tja, dann
haben wir ja das Recht, ihr einen Namen zu geben.« Er klammerte
die Hand um Schreiender Falkes fleischigen Oberarm. »Der
nächste Eintrag ins Logbuch lautet: ›Valparaíso um sechzehn Uhr fünfundvierzig auf Van-Horne-Insel
gestrandet.‹«
»Wie bescheiden von Ihnen«, kommentierte Rafferty.
»Ich benenne sie nicht nach mir. Mein Vater hat sein
Leben lang eine unentdeckte Insel zu finden versucht. Er ist ein
Riesenarschloch, mein hochverehrter Alter, aber er hat seine Insel
verdient.«
Anthony juckte die Stirn. Er zog die Engelsfeder aus der
Brusttasche des Bordjacketts und kratzte sich mit dem Federkiel. Ketten, dachte er. Ja. Ketten. Die Schleppketten waren viel zu
dick, doch eine Ankerkette bot sich ohne weiteres zum Klettern an. Er
schaltete die Gegensprechanlage ein, verband sich mit
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