Das Gottesmahl
Sie bilden sich ein, ihnen gehörte die
Welt.
Joe Spicer sprang auf und setzte die Winkerkrabbe beiseite.
»Kollegen«, rief er, »uns ist ein ernster
epistomologischer Fehler unterlaufen.«
»Schopenhauer war nur ein Korinthenkacker«, erregte sich
Dolores Haycox, ließ die liberische Seeschlange zu Boden
fallen. »Der Sinn des Lebens kommt nicht von Gott. Das Leben hat
in sich selbst seinen Sinn.«
»Kapitän, Sie müssen uns verzeihen«, bat Bud
Ramsey.
In diesem Moment wachte Cassie auf.
6. August
Ockham hat nicht übertrieben. Die Lumpen haben unsere
Vorratskammern so gut wie leergeplündert. Bis es uns gelingt,
eine Gruppe zum Fischefangen zu schicken, müssen wir essen, was
ihnen entfallen ist oder sie sowieso nicht haben wollten.
Ich gehe ein, Popeye. Von der Migräne flimmert es mir
ständig vor Augen, und immerzu beschäftige ich mich mit
Phantasien, was ich mit den Meuterern mache, wenn ich sie erwische.
Ich stelle mir vor, wie ich Ramsey kielhole und die Rumpfmuscheln der Valparaíso ihm die Haut abschrammen, als ob ein
Schiffsjunge Kartoffeln schält. Ich male mir aus, wie ich Haycox
in ordentliche, kleine Würfel schneide und sie als Häppchen
für die Haie in den Golf von Cádiz werfe. Und Joe Spicer?
Spicer binde ich auf die Butterworthanlage und peitsche ihn aus, bis
die Sonne auf seine Wirbelsäule scheint.
Willkommen in Anno Postdomini Eins, Popeye.
Um 13 Uhr 20 hat Sam Follingsbee mir eine Lebensmittelliste
vorgelegt: 1 Bananenstaude, 2 Dtzd. Würstchen, 3 Pfd.
Schweinskopfsülze, 5 Laib Brot, 4 Stck. Velveta-Käse…
Erspare mir den Rest, Popeye, es ist zu niederschmetternd. Ich habe
den Smutje angewiesen, einen Rationierungsplan auszuarbeiten,
irgendein Zuteilungsverfahren, um zu gewährleisten, daß
wir während des restlichen Monats handlungsfähig
bleiben.
»Und danach?« hat er gefragt.
»Dann beten wir«, war meine Antwort.
Zwar sind die Meuterer in den Vorschiff-Stauraum eingebrochen und
haben sämtliche Anti-Raubtier-Waffen mitgenommen, haben aber
vergessen, sich das wichtigste Zubehör aus dem Deckhaus-Spind zu
besorgen, und daher fehlen ihnen für die Raketenstartgeräte
die Geschosse und für die WP17-Harpunengewehre die Harpunen. In
bezug auf ernsthafte Bewaffnung sind daher beide Seiten weitgehend
machtlos. Ärgerlicherweise haben die Schweinehunde allerdings in
der Offiziersmesse zwei Paradesäbel von der Wand geholt sowie
sechs oder sieben Signalpistolen und eine Handvoll Sprengkapseln
erbeutet.
Also sitzen wir nur herum und warten. Und schmoren vor uns
hin.
Öhrchen bemüht sich pausenlos um Verbindung zur
Außenwelt. Ohne Erfolg. Eine Strandung, Nahrungsmittelknappheit
und eventuell sogar eine Meuterei kann ich verwinden, aber dieser
andauernde Nebel treibt mich in den Irrsinn.
Um 14 Uhr 30 haben Schwester Miriam und Pater Ockham ihre
Rucksäcke gepackt und sind in nördlicher Richtung durch die
Dünen gezogen, um die Drecksäcke zu suchen. »Wir gehen
von der Annahme aus, daß Immanuel Kant recht hatte«,
erklärte der Pater. »In der Seele jedes Menschen schlummert
ein natürliches moralisches Gesetz, der Kategorische
Imperativ.«
»Wenn wir das den Deserteuren einsichtig machen
können«, meinte Schwester Miriam, »kommen sie unter
Umständen zur Besinnung.«
Weißt du was, Popeye? Ich glaube, die beiden rennen in den
Tod.
Sie fanden die Deserteure durch ihr Gelächter: des Johlens
primitiver Heiterkeit und Geschreis posttheistischer Belustigung, die
der Wind ihnen über den noch klammen Sand entgegenwehte.
Thomas’ Herz schlug schneller, als gälte es das kleine
Kruzifix zu schütteln, das er unterm Sweatshirt auf der Brust
trug.
Geradewegs voraus dampfte eine Reihe hoher, feuchter Dünen in
der Sonne. Seite an Seite erklommen Jesuit und Karmeliterin die
Erhebungen, pausierten auf halber Strecke für ein Momentchen, um
aus den Feldflaschen zu trinken und sich den Schweiß von der
Stirn zu tupfen.
»Egal wie tief sie gesunken sind, wir müssen ihnen mit
Liebe begegnen«, bekräftigte Schwester Miriam nochmals.
»Ja, schließlich sind wir ja selbst ganz unten gewesen,
stimmt’s?« antwortete Thomas. »Wir wissen aus eigener
Erfahrung, welches Unheil der Einfluß der Corpus Dei anrichten kann.« Sobald er den Gipfel der Düne
erreichte, hob er van Hornes Fernglas an die Augen. Sofort erbleichte
er, wurde schockiert von einem so erstaunlichen Anblick, daß er
durchaus mit Miriams Schleiertanz konkurrieren konnte. »Guter
Gott…!«
Auf dem
Weitere Kostenlose Bücher