Das Grab der Königin
auch mit der alten Königsstadt Marib, in der sie gelebt hat. Man fand Reste von ihr, Trümmer, Mauern. Doch nicht alles hat der Wind überdecken können. Ein Zeuge aus dieser Zeit trägt einen besonderen Namen. Es ist der Turm der flüsternden Geister. Er ragt wie ein abgebrochener Finger in den Himmel. Von Märchenund Geschichtenerzählern wurde er auch Turm des Wissens genannt, denn der Reine, der ihn betrat, konnte mit den Geistern Kontakt aufnehmen und so sein Wissen über ein anderes Reich verlangen. Auch die Königin hat diesen Turm des öfteren besucht.«
»Den gibt es noch?« fragte Jenna.
Der alte Mann nickte. »Ja. Er liegt zwischen Mokka und Marib. Ihr müßt nurderalten Karawanenstraße folgen, dann werdet ihr ihn sehen. Er steht auf einem Felsen, der wie ein geknickter Handrücken aus dem Sand der Wüste ragt. Ein stolzes Bauwerk, von den meisten vergessen und von denen, die mehr wissen, verschwiegen.«
»Das hast du mir bei meinem ersten Besuch nicht gesagt, Bahib!«
»So ist es. Ich kannte dich nicht, ich wollte dir nicht mein Wissen preisgeben, aber ich sehe ein, daß ich jetzt über meinen eigenen Schatten springen muß. Möge der Allmächtige mir verzeihen oder mich strafen, ich nehme es hin, denn die Zeiten stehen kurz vor dem großen Umbruch. Die Gerechten müssen jetzt handeln.«
»Und wir sollen dorthin fahren?« fragte Suko. »Um wen zu treffen?«
»Wenn die Geister der Grabwächterinnen ein Ziel haben, dann ist es gewiß der Turm. Man hat sie aus dem Grab vertrieben, aber der Turm steht. Dort werden sie, dort werdet ihr die Signale empfangen können. Möge Allah euch behüten.«
Er schaute uns ernst an und streckte uns beide Hände entgegen. Wir schwiegen. Ein jeder von uns spürte die mit Ehrfurcht erfüllte Minute. Man hatte uns ein Geheimnis anvertraut. Es würde sich zeigen, ob wir würdig waren, dieses Geheimnis auch zu wahren.
Mit schlichten Worten bedankten wir uns bei dem weisen Bahid, der aufstand wie ein Jugendlicher, was mir schwerfiel, denn ich kam nicht so einfach von dem Kissen hoch.
»Es ist weit«, sagte Bahid. »Ich werde euch den Wagen jetzt überlassen. Kommt mit,«
Wir gingen nicht mehr durch den Laden. Das Büro besaß eine versteckt angebrachte Seitentür. Sie lag hinter einem Regal im toten Winkel. Bahid, der vorging, drückte die Für auf.
Ich setzte die dunkle Brille auf, denn die Sonne schien auch in den großen Hof, obwohl dieser von hohen, weißen Lehmmauern umgeben wurde. Er diente als Außenlager.
Technische Ersatzteile aller Art fanden wir hier und nicht nur ein Fahrzeug. Sogar ein Benz stand im Schatten der Mauer. Auf seinem blauen Lack lag eine dünne Schicht aus Staub.
Der Jeep parkte neben dem Tor. Wir wuchteten das Gepäck hinein. Ich überprüfte ihn so gut wie möglich, und meiner Ansicht nach sah er wüstentauglich aus.
»Wasser und Benzin werde ich noch bringen lassen. Fahrt ihr bis zum Turm der flüsternden Geister. Muß ich euch den Weg dorthin noch einmal genau erklären?«
Das brauchte er nicht. Außerdem war Jenna die Strecke schon einmal gefahren.
»Wann werden wir ungefähr dort eintreffen?« fragte ich.
Bahid fuhr durch seinen dünnen Bart. »Wenn der Lag im Grau der ankommenden Nacht versinkt, werdet ihr ihn wahrscheinlich im letzten Licht der Sonne sehen können. Ihre Strahlen treffen seine Spitze und lassen sie rot aufleuchten.«
»In der Dämmerung«, sagte ich.
»Ja.«
Bahid entschuldigte sich und ließ uns allein. »Sieht ja nicht schlecht aus«, sagte Suko. »Mit so viel Glück hätte ich nicht gerechnet, nach dem, was hinter uns liegt.«
»Ja, man kann Bahid vertrauen.«
Ich lächelte Jenna zu. »Weshalb hast du uns zuvor nichts von ihm gesagt?«
»Er ist alt, John. Ich war mir nicht sicher, ob er noch lebte.«
»Da hast du recht.« Ich wischte über mein Gesicht, denn ich hatte den Eindruck, in einem Backofen zu stehen. Die Sonne hatte den Hof ungemein stark aufgeheizt.
Manchmal trieb Staub über die Mauerkanten. Er schimmerte rötlichgelb im Sonnenlicht.
Kunden erschienen nicht. Sie suchten sich bestimmt die Abendstunden aus, in denen es kühler war.
Bahid kehrte zurück. Er war nicht allein. Zwei Männer schleppten Kanister mit Benzin und Wasser. Beides war in der Wüste kostbar. Sie luden die Kanister auf, und wir mußten unsere Gepäckstücke noch einmal zurechtrücken.
Bahid nickte uns zu. »Für die Ausrüstung ist gesorgt«, sagte er. »Alles andere liegt an euch. Und noch eines möchte ich euch mit
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