Das Grab der Königin
saß die Zeit im Nacken. Okay, man hätte mit dem Jeep wieder zurück nach Mokka fahren können, um Leitern zu besorgen. Das jedoch hätte zuviel Zeit gekostet. Vielleicht sollten Suko und Jenna allein fahren und sich auf die Suche nach dem Grab der Königin begeben. Sie waren beide informiert, wußten Bescheid, und ich vertraute ihnen voll.
Je länger ich mich mit diesem Gedanken beschäftigte, um so sympathischer wurde er mir. Es war unsere einzige Chance, noch etwas zu erreichen. Ich hörte aus der Tiefe Geräusche, Schritte, auch die Stimme der Wissenschaftlerin, und bekam mit, daß Jenna den Strahl ihrer Lampe in die Höhe zucken ließ.
Sie leuchtete dorthin, wo sich die Treppen befanden. Die Stufen schwebten dort noch immer über dem Abgrund. Auf den ersten Blick hin hatte sich nichts verändert, bis das Licht über die sechs Gestalten huschte, die auf den Treppen ihre Plätze gefunden hatten. Es waren die Frauen mit den Rosen, die Hüterinnen des Königinnengrabes!
An vieles hatte ich gedacht, daran allerdings nicht. Sie waren mir schon wieder aus dem Sinn gekommen. Nun allerdings sah ich sie innerhalb des Turms und erinnerte mich wieder daran, daß er den Namen Turm der flüsternden Geister bekommen hatte.
Sollten sie die Geister sein, von denen in diesem Begriff die Rede war?
Von der Hand zu weisen war es nicht, auch wenn es sich bei ihnen um menschliche Gestalten handelte.
Sie standen da aund hielten die Rosen zwischen ihren Händen. Die letzte in der Reihe stand auf meiner Höhe. Ich leuchtete die Rose direkt an. Im hellen Schein des Kegels konnte ich ihre Farbe sehr genau erkennen. Sie leuchtete in einem intensiven Rot, das mich an die Farbe menschlichen Blutes erinnerte.
Noch waren sie rot, noch standen sie in voller Blüte, aber die Zeit des Sommers war vorbei. Ich hatte gesehen, wie die Blätter und danach die Frau verfaulten, um zu Staub zu werden.
Die sechs Hüterinnen hatten die Grabstätte der Königin verlassen. Wie sollte ich das deuten? Als Zeichen der Aufgabe?
Ich ließ den hellen Lichtarm weiter in die Tiefe wandern, damit er auch die restlichen Personen erfassen konnte.
Sie waren alle gekommen.
Sechs Frauen verteilten sich auf den Stufen. Nicht nur der Kegel meiner Lampe erfaßte die Gestalten, auch aus der Tiefe stachen zwei Strahlen in die Höhe, durch die zahlreiche Staubkörner flimmerten. Sie vereinigten sich mit meinem Lichtspeer. Ich hörte Sukos Stimme. Der Freund wollte mir Mut zusprechen.
»Jenna ist der Meinung, daß die Frauen eine Chance für uns sind. Vor allen Dingen für dich. Sie sind hier hereingekommen, ohne daß wir es merkten. Vielleicht können sie dich aus deiner Lage befreien.«
Ich lachte hart. »Das wäre schön.«
»Warte nur ab.«
Was blieb mir auch sonst? Die Frauen rührten sich nicht. Ich konzentrierte mich wieder auf die oberste, also die letzte in der Reihe, da ich den Eindruck bekam, daß sie so etwas wie eine Anführerin der sechs Gestalten war.
Der Kegel wanderte an ihrer Gestalt hoch. Sie war angezogen wie die Frau, die mich auch in London besucht hatte. Wie in graues Tuch eingewickelt, kam sie mir vor, nur das Gesicht sah ich. Züge, die zwar ein menschliches Aussehen besaßen, aber dennoch so wirkten, als bestünden sie aus einem anderen Material. Vielleicht aus Stein, aus gebackenem Staub oder Sand.
Obwohl ich sie blendete, bewegte sie ihre Augen nicht. Die Dunkelheit darin sah aus wie eine tiefe Leere. Mir kam es vor, als wären die Augenhöhlen nicht gefüllt.
Stand nur eine Hülle vor mir?
Ich hatte das Gewicht ein wenig verlagert. Zu weit nach links, wie ich sehr bald feststellen mußte, denn das Knirschen unter meinen Füßen hörte sich verdammt schlimm an.
Brach die Mauer auch?
Ja, verdammt!
Von einer Sekunde zur anderen überschwemmte mich die Todesangst. Sie trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn. Ich hörte Suko und Jenna von unten her schreien.
»Halte dicht fest, John! Halte dich noch fest! Ich versuche es mit dem Stab, wie schon einmal, als dich die Hexen vernichten wollten!«
Mein Gott, das lag lange zurück. Ob es noch einmal klappte und mich Suko mitten im Flug und dabei dicht über dem Boden aufhalten konnte, war fraglich. Darauf wollte ich mich nicht verlassen. Worauf sonst?
Noch spürte ich den Gegendruck unter meinen Füßen. Der verdammte Vorsprung unter mir brach intervallweisc ab. Ich konnte mir leicht ausrechnen, wann ich an der Reihe war.
Noch drei Sekunden, noch zehn, vielleicht auch zwanzig. Mehr
Weitere Kostenlose Bücher