Das Grab der Legionen
nichts mehr sicher war, wenn man bei jeder Entscheidung an hundert Dinge gleichzeitig denken mußte? Vielleicht konnten das die Römer, er jedenfalls vermochte es nicht.
Einen Berater wie Eladu müßten wir haben! Keri? Aber der ist so verdammt eigensinnig und ruhmsüchtig. Ich werde trotzdem mit ihm reden, wenn die Streifschar vom Jalu zurückkehrt.
„Was soll man da nur tun?” murmelte Senkin.
„Rufe den Ältestenrat zusammen, befrage ihn!" sagte Eladu mit müder, sorgenvoller Miene.
„Wie denn? Du rätst mir, die Ältesten um Hilfe zu bitten? Ausgerechnet du? Jeder weiß, was du von uns hältst - du brauchst dich deswegen nicht zu entschuldigen. Und nun sagst du...?"
„Hast du eine bessere Idee?" fragte Eladu gelassen.
Senkin schüttelte den Kopf. „Wenn ich den Alten darlege, was du mir eben gesagt hast, werden sie den Gefangenen der Gottheit opfern wollen. Einen Toten befreit niemand."
„Wahr. Aber es wäre trotzdem schlecht. Keri hat recht: Wir brauchen Titus Flaccus. Er kann uns vieles lehren... Zugleich ist er eine furchtbare Gefahr, denn die Römer werden ihn befreien wollen."
„Oder töten", murmelte der Ältere.
„Oder töten", pflichtete sein Besucher bei und gähnte verstohlen. „Dann nämlich, wenn sie ihn nicht lebend bekommen oder wenn ihnen klar wird, welche gefährliche Waffe sein Wissen für uns ist. Du solltest die Verantwortung nicht allein tragen. Vielleicht entdeckt ihr im Ältestenrat einen Ausweg, der uns allen hilft."
„Du wüßtest keinen?"
„Jetzt nicht." Eladu log, glaubte aber, daß es unbemerkt blieb. Selbstverständlich gab es eine Lösung, nur - die Ältesten mußten sie allein finden. Schlug er sie selbst vor, würde sie abgelehnt werden; kamen die Graubärte von allein darauf, würden sie die Idee als glänzend ansehen.
„Du willst nicht auf dieser Ratsversammlung sprechen?"
„Wer bin ich, daß ich euch raten könnte!"
Für eine lange Weile fiel kein Wort. Unruhig lief Eladu auf und ab, sosehr ihn die müden Füße auch schmerzten. Er wog das Für und Wider ab, doch die Gedanken liefen ihm davon. Gab es wirklich nur diesen Weg?
„Höre, das Lügen magst du gut gelernt haben", sprach Senkin dann ganz gelassen. „Aber es ist uniberisch, und ein Arevake sollte einen anderen nicht zum Nutzen der Römer beschwindeln. Es stimmt nicht, daß du keinen Ratschlag weißt. Andere magst du hinters Licht führen, mich nicht. Du hast einen sicherlich recht guten Vorschlag, denn du bist viel erfahrener in diesen Dingen als ich. Das Alter allein macht es nicht. Also sprich!"
Eladu wurde feuerrot und senkte den Kopf. Daß er durchschaut worden war! Nicht einmal einem römischen Händler hätte er das zugetraut, und die waren aufs Lügen vorbereitet.
„Zwei, Senkin, zwei Ratschläge habe ich", sagte er schließlich. „Aber es ist unmöglich, daß ich sie euch unterbreite. Verstehst du? Ich kann das nicht. Tust du es - das ist etwas anderes."
„Nun rede endlich!"
„So schwer es euch fallen wird - laßt keinen fremden Kaufmann in die Burg, solange Titus euer Gefangener ist. Schickt ihn in ein benachbartes Dorf und verhandelt über absolut zuverlässige und schweigsame Leute mit ihm. Wahrscheinlich tut ihr dem Händler unrecht, und er ist nur auf den Gewinn aus und kein römischer Spion. Aber wenn ihr euch bloß einmal irrtet, es wäre euer Untergang." Senkin biß die Zähne zusammen und murmelte einen Fluch. „Wir sind arm und besitzen wenig. Meinst du, unsere Frauen und Mädchen brauchen keine neuen Nadeln oder dies und das? Es geht nicht, ausgeschlossen."
„Ich weiß."
„Und der andere Vorschlag?"
Der Besucher lachte auf. „Was wirst du mir nun erst sagen! Sprich mit Keri, sprich mit dem Heiligen Mann, sprich vielleicht mit deiner Tochter - überlaß uns Titus Flaccus! Liefere ihn an Numantia aus. Bei uns ist er sicher."
„Das wäre Verrat und Vertragsbruch. Namens des Rates versprach ich dem Römer, er werde hier als unser Lehrer bleiben. Ich kann das nicht zurücknehmen."
„Ich weiß."
Senkin vergrub das Gesicht in den Händen. Die Sorgen wuchsen ihm über den Kopf. Was war zu tun? Malega aufs äußerste zu gefährden, nur um Keris zweifellos gute Idee zu verwirklichen? Für das Leben der Burgbewohner war er mitverantwortlich, er konnte nicht so tun, als ginge ihn das nichts an.
„Du willst wirklich nicht mit zur Ratsversammlung gehen?" fragte er zaghaft.
„Allzu gern. Doch dort käme ich ständig in Versuchung, etwas auszusprechen, was
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