Das Grab des Ghouls
sogar noch eine Treppe, die hoch bis zu einem Mittelfenster führte. So dachte ich zumindest. Bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass es kein Fenster war, sondern der Ausschnitt einer recht großen Tür.
Und in dieser Öffnung saß jemand...
***
Ob dieser Jemand mir den Rücken zuwandte, das war nicht zu erkennen. Jedenfalls saß er da und bewegte seine Arme in Richtung Kopf.
Ich überlegte fieberhaft, was ich tun sollte. Die Lampe rausholen und ihn anleuchten?
Nein, das war nicht der richtige Weg. Er kümmerte sich nicht um seine Umgebung. Er hatte mich bisher weder gehört noch gesehen, und ich hoffte, dass dies auch so blieb. Deshalb kam mir der Gedanke, mich über die geländerlose Treppe an ihn heranzuschleichen.
Ich näherte mich der ersten Stufe. Auch beim Mondlicht war zu sehen, dass die Stufen nicht frei lagen. Sie waren mit allerlei Resten, kleineren Steinen und auch Staub bedeckt. Es würde nicht leicht sein, die Treppe hochzugehen und dabei lautlos zu sein.
Das schaffte ich auch nicht.
Irgendwann war es mir egal. Ich war nur froh, dass die Stufen bereit genug waren und auch nicht brüchig, sodass ich keine Angst haben musste, dass sie unter mir zusammenbrachen.
Es klappte besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Und die Gestalt in der hohen Türöffnung ließ sich auch nicht stören. Sie hockte auf der ehemaligen breiten Schwelle und aß in aller Ruhe oder tat zumindest so, denn genau sah ich es noch immer nicht.
Aber ich ahnte schon, was mich erwartete. Noch drei Stufen stieg ich weiter. Da lagen ungefähr zwei Drittel des Weges hinter mir. Es war eine gute Entfernung, um die Gestalt anzusprechen.
Nicht nur das. Ich fingerte meine Lampe hervor, schaltete sie ein.
Ich hatte die Leuchte genau auf ein bestimmtes Ziel gerichtet und auch am vorderen Rand der Leuchte gedreht. So breitete sich der Strahl aus wie eine Pyramide.
Er traf genau!
Die Helligkeit überraschte den Mann völlig. Ja, es war ein Mann, und wenn mich nicht alles täuschte, hatte ich Desmond Wayne gefunden. Ich kannte ihn von den Beschreibungen meines Freundes her.
Ich sah sein Gesicht, seine Gestalt ebenfalls. Beides interessierte mich nicht, denn was er zwischen seinen Händen hielt, war viel schlimmer.
Es war der Arm eines Menschen!
***
Auch ich bin kein Übermensch. Der Schock erwischte mich völlig unvorbereitet. Ich hatte im Leben nicht damit gerechnet, ein derartiges Bild zu sehen.
Ich verspürte den Wunsch, zu schreien.
Das Verlangen unterdrückte ich, blieb stehen und strahlte weiterhin gegen die Gestalt. Jetzt konzentrierte ich mich mehr auf das Gesicht und sah tatsächlich, dass es das Gesicht eines Menschen war.
Kein Ghoul, der vom Schleim umgeben war. Hier schaute mich tatsächlich ein Mensch an, und im hellen Licht der Leuchte zeichneten sich auch seine Augen ab.
Augen?
Das traf schon zu. Nur waren sie nicht mit denen eines Menschen zu vergleichen. Da gab es nichts mehr, was gezuckt hätte oder sich darin bewegte. Trotz der Blendung blieben die Augen starr, und mir kam etwas in den Sinn.
Ich hatte in meinem Leben vieles erlebt. Solche Augen kannte ich. Oft genug hatte ich sie bei Toten gesehen. Aber diese Gestalt war nicht normal tot. Vielleicht war sie auch tot, aber irgendetwas hatte sie dann wieder zum Leben erweckt.
Ich hatte es hier mit einem Zombie zu tun. Mit einer lebenden Leiche.
Ich wusste nicht, ob der Zombie mich gesehen hatte oder nicht zu stark geblendet wurde. Eines stand allerdings fest. Ich konnte ihn nicht mit seiner schaurigen Beute entkommen lassen, und deshalb zog ich die Beretta.
Ich wollte die Gestalt aus der Türöffnung schießen!
Desmond Wayne hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Er tat so, als ginge ihn das alles nichts an. Nur führte er nicht mehr den Arm zum Mund, sondern lauerte.
»Okay«, flüsterte ich so leise, dass ich es nur selbst hören konnte, »jetzt bist du reif.«
Ich zielte genau!
Meine linke Hand zitterte ebenso wenig wie die rechte, in der ich die Beretta hielt.
Mein Zeigefinger lag am Drücker.
Dann schoss ich!
Im gleichen Augenblick bewegte sich die Gestalt in der Türöffnung. Ich sah nur ein Zucken, dann lenkte mich der laute Knall des Schusses ab, zu dem sich auch noch die Echos gesellten.
Die Gestalt verschwand aus der Türöffnung, als wäre sie weggepustet worden. Ich hörte keinen Schrei, auch keinen Aufprall an der anderen Mauerseite, weil das Schussecho noch meine Ohren betäubte. Einige Sekunden blieb ich auf der Stufe stehen, um
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