Das Grab des Herkules
der Konstruktion ankamen, fuhren sie hundert Stundenkilometer.
»Jetzt!«, brüllte Chase.
Mitzi riss das Steuer herum und lenkte den Wagen quer über die Fahrbahnen, als wollte sie selbstmörderisch die Betonbrüstung durchbrechen – dann schwenkte sie im letzten Moment wieder in die Spur, wobei das Fahrzeug heftig schaukelte.
Mit dem Extraschwung sprang Chase vom Wagendach ins Leere.
Der freie Fall wurde sofort gebremst, als er Arme und Beine abspreizte, sodass die dreieckigen Stoffbahnen zwischen Handgelenk und Hüfte sich wie Fledermausflügel spannten. Zwischen seinen Beinen füllte sich ein weiterer Nylonkeil mit Luft.
Ein weiterer Vorteil des Flügelanzugs war, dass Chase ihn lenken konnte: Er neigte die ausgestreckten Arme und flog eine Kurve. Unter ihm kreisten die Lichter der Mikrochipfabrik, die unaufhaltsam immer näher kamen: Eisiger Wind schlug ihm ins Gesicht, während Chase immer weiter sank. Er hatte bereits die Hundertzwanzig-Meter-Marke unterschritten, dann waren es nur noch hundert Meter bis zum Boden …
Er zog die Reißleine.
Der Fallschirm entfaltete sich wie in Zeitlupe. Die schwarze Farbe, die Chase auf den grellgelben Stoff gesprüht hatte, war zwar eine gute Tarnung, doch falls ein Wachmann den dumpfen Knall gehört hatte, mit dem der Fallschirm sich entfaltet hatte, war nicht auszuschließen, dass er ihn im Mondschein dennoch sah …
Chase schoss über ein Gebäudedach hinweg. Wenn er noch tiefer sank, würde er genau in der Mitte des hell erleuchteten Bereichs aufkommen …
Chase zog an den Leinen, und der Fallschirm fiel in sich zusammen. Mit abgestreckten Beinen landete er auf dem Dach und rollte sich ab, um den Aufprall zu dämpfen. Ein sengender Schmerz durchzuckte seine genähte Wade. Er biss die Zähne zusammen und versuchte, den Schmerz zu unterdrücken. Jetzt musste alles schnell gehen.
Noch während er die Fallschirmgurte abstreifte, zog Chase die schwarze Pistole vom Typ Steyr GB. Er drehte sich einmal um die eigene Achse und hielt Ausschau nach einem Weg nach unten. An der Ecke waren die Holme einer Leiter zu sehen. Er zielte darauf, horchte auf Geräusche. Wenn jetzt jemand die Leiter heraufkam, würde sein verdeckter Einsatz in ein Feuergefecht ausarten …
Kein Klirren, kein Fußgetrappel. Nur das leise Rauschen des Winds und das Summen elektrischer Geräte.
Chase entspannte sich ein wenig, öffnete den Reißverschluss des Flügelanzugs und streifte ihn ab. Darunter war er ganz in Schwarz gekleidet; schwarze Jeans und schwarzer Rollkragenpullover, darüber die lädierte Lederjacke. Nachdem er den Fallschirm zusammengerafft hatte, trabte er leise zur Leiter hinüber und blickte nach unten.
In dem Gebäude waren Büros untergebracht und dementsprechend die meisten Fenster dunkel. An der anderen Seite der breiten Straße lag ein großer weißer, zweistöckiger Bau. Die fensterlose Fassade ließ auf industrielle Nutzung schließen, und die zahlreichen Klimageräte auf dem Flachdach deuteten darauf hin, dass dort die Mikrochips produziert wurden. Die teuren Chips wurden vollkommen wertlos, wenn sie beim Fertigungsprozess auch nur mit den kleinsten Spuren von Staub in Berührung kamen, deshalb musste die Luft wirksam gefiltert werden.
Chase hielt Ausschau nach Menschen. Am anderen Ende der Straße sah er zur Rechten einen hohen Maschendrahtzaun, dahinter lag der Fluss. Ein weißer SUV fuhr vorbei und verschwand hinter einem anderen Gebäude. Eine Patrouille, die das Gelände abfuhr. Chase grinste. Dass jemand von oben eindringen könnte, damit hatte niemand gerechnet.
Er drehte sich um und kletterte die Leiter hinunter, dann hob er wieder die Waffe. Noch immer war niemand zu sehen. Er querte die Straße, rannte zur Ecke des Fertigungsgebäudes und bog in eine lange Gasse ab.
Chase hatte sich die örtlichen Gegebenheiten anhand eines ausgedruckten Luftfotos eingeprägt, das Mitzi aus dem Internet heruntergeladen hatte. Am Ende der Gasse sollte sich ein weiterer, größerer Gebäudekomplex befinden, wenn er sich recht erinnerte …
Er behielt recht; hinter einer Straße erstreckten sich weitere gesichtslose Bauten. Das aber war noch nicht alles – vor einem der Gebäude stand ein schwarzer Mercedes 600, und hinter dem Steuer saß ein gelangweilt wirkender Chauffeur.
»Schön, dich wiederzusehen, Dick «, flüsterte Chase. Er musterte das Gebäude. Im Unterschied zu dem Nebengebäude hatte dieses hier im oberen Stockwerk Fenster, von denen nur eines
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