Das Grab des Herkules
runzelte die Stirn. »Dann könnte Yuen also auch weggeflogen sein?«
»Nein, das habe ich überprüft. Dort steht zwar ein Privatjet, er ist aber noch nicht gestartet.«
»Das ist ja immerhin etwas.« Chase richtete das Fernglas wieder auf die Fabrik. Die Sicherheitsvorkehrungen waren streng; strenger, als er bei einer Mikrochipfabrik erwartet hätte.
»Was ist mit Sophia? Ist sie bei ihm?«
»Meinem Freund vom Hotel zufolge war er in Begleitung einer Frau, doch er konnte ihr Gesicht nicht erkennen – sie wurde von zwei Bodyguards von der Suite aus direkt in den Wagen gebracht.«
»Das muss sie gewesen sein. Weißt du, was für eine Automarke das war?«
»Ein schwarzer Mercedes. Das Modell kann ich dir leider nicht sagen.«
»Bestimmt teuer, jede Wette.« Chase setzte das Fernglas ab und sah ihr in die Augen. »Danke, dass du mir geholfen hast, Mitzi. Ich weiß, es war alles etwas kurzfristig.«
»Und kostspielig!« Sie deutete mit dem Kinn auf das Bündel auf dem Rücksitz ihres SUV. »In meinem Club war man ziemlich überrascht, als ich ganz dringend einen Fallschirm brauchte. Und ich habe so das Gefühl, dass ich ihn nicht werde zurückgeben können …«
»Ich übernehme die Kosten«, versicherte ihr Chase.
Sie tätschelte ihm den Arm. »Ich mach doch nur Spaß, Eddie. Ich stehe so hoch in deiner Schuld, das wiegt ein Fallschirm nicht auf.«
»Du schuldest mir gar nichts.« Chase winkte ab. »Ich kümmere mich drum, wenn ich zurückkomme.«
» Falls du zurückkommst«, erwiderte Mitzi zögerlich, fasste sich aber ein Herz und fuhr fort: »Eddie, findest du nicht, dass du leichtsinnig bist?«
»Wenn ich nichts riskiert hätte, dann wärt ihr beide, du und deine Mutter, nicht mehr am Leben«, entgegnete er schärfer als beabsichtigt. Sofort entschuldigte er sich. »Tut mir leid. Aber Sophia ist da unten, und ich werde sie rausholen. Nur darum geht es.«
»Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dir viel Glück zu wünschen und dir zu helfen, so gut es geht«, sagte Mitzi resigniert.
»Danke.«
»Und spreng bitte nicht den Staudamm in die Luft. Meine Großeltern leben unten im Tal.«
Er grinste. »Ich werd mir Mühe geben.«
Mitzi lachte, dann fixierte sie ihn auf einmal ernst. »Ich mein’s ernst. Tu’s nicht.«
»Ich weiß wirklich nicht, woher ich diesen schlechten Ruf habe«, meinte Chase mit einem unbekümmerten Achselzucken, dann öffnete er die hintere Wagentür und schob den Fallschirm beiseite. Als er darunter eine Pistole und eine Handgranate entdeckte, nickte er beifällig.
»Wo hast du die her?«
»Ich klettere auch. Einer meiner Ausbilder war bei der Armee. Die hat er als Andenken behalten.«
Chase grinste. »Fallschirmspringen, Klettern … du entwickelst dich ja zu einer richtigen Action-Heldin.«
»Alles deinetwegen, Eddie«, erwiderte Mitzi strahlend.
Chase hob verlegen ein anderes Bündel hoch, entrollte es und breitete es auf dem Boden aus. Dann nahm er eine Sprühdose in die Hand, schüttelte sie und besprühte einen Teil des Materials mit schwarzer Farbe. »Siehst du? Ich habe vorgesorgt. Diese Dinger sollen weithin sichtbar sein, und genau das kann ich nicht brauchen.«
Mitzi wich vor dem stinkenden Farbnebel zurück und rümpfte die Nase. »Wieder etwas, das ich nicht zurückgeben kann …«, seufzte sie.
Ein paar Minuten später bog Mitzi in ihrem Porsche Cayenne von dem Aussichtspunkt auf eine vierspurige Schnellstraße ein, welche die Berge durchschnitt. Zum Höhepunkt der Skisaison war die Straße brechend voll mit Urlaubern, doch jetzt, mitten in der Nacht, war kein einziger Wagen unterwegs.
Eine Brücke in Richtung Bern überspannte das Tal. Die gewagte Konstruktion fußte auf nur einer einzigen Stützsäule, die vom Talboden über hundertfünfzig Meter aufragte. Mitzi vergewisserte sich, dass sie allein auf der Straße war, dann beschleunigte sie und hielt darauf zu. »Bist du bereit?«, rief sie Chase zu.
Er saß nicht bei ihr im SUV, sondern hockte auf dem Dach und hielt sich mit einer Hand an der Dachreling fest.
»Fahr!«, brüllte er und streckte den anderen Arm aus, um das Gleichgewicht zu halten. Das einteilige Kleidungsstück, das er über seiner normalen Kleidung trug, knatterte im Fahrtwind, während der Wagen bis auf achtzig Stundenkilometer beschleunigte und dann die Brücke erreichte.
Mitzi lenkte den Cayenne dicht an die Brüstung heran und trat das Gaspedal durch. Als sie die Mitte der Brücke erreicht hatten und am höchsten Punkt
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