Das Grab des Salomon
hoffte.
Er griff hinein.
Und schloss die Finger um altes, raues Leinen. Das Wort Sackleinen ging ihm durch den Kopf, aber er wusste, dass dies aus dem jahrelangen Lesen in der Bibel herrührte. Er wusste nicht einmal, wie sich Sackleinen anfühlte. Dieser Beutel jedenfalls wies die raue Beschaffenheit eines Kartoffelsacks auf, vielleicht etwas dicker.
Die geheiligten Tafeln der Bundeslade waren bereits seit Jahrhunderten von der Lade selbst getrennt, die vor langer Zeit verloren gegangen war.
Aber sie hatte länger, als Historiker sich vorstellen konnten, diese Tafeln enthalten, den zweiten, makellosen Satz, den Moses vom Berg Sinai, dem Berg des Herrn, getragen hatte. Laut seinen holprigen Übersetzungen des Inhalts der Kassette war die Bundeslade einer Gruppe Ammoniter geopfert worden, die dem Sieg in der einstigen griechischen Hauptstadt Konstantinopel zu nahe gekommen war. Damals war keine Zeit geblieben, um eine falsche Fährte zu legen. Der Hüter jener Tage war gezwungen gewesen, die Lade zurückzulassen und der Entdeckung preiszugeben, während er den Inhalt in weite, weite Ferne geschafft hatte.
Ironisch daran war, dass die Lade dann doch nie entdeckt wurde . Hätte der Feind sie im Besitz gehabt, wäre es unnötig gewesen, dieses aufwändige Duplikat anzufertigen, das sich nun in Hillcrest befand. Der alte griechische Hüter – ein Bischof, sofern Vincents Übersetzung korrekt war – hatte von seiner Hoffnung geschrieben, eines Tages an das frühere Versteck zurückzukehren und etwas über das Schicksal der Lade in Erfahrung zu bringen. Vincent hatte nie herausgefunden, ob dem Mann dabei je Erfolg beschieden worden war. Sofern es dem Bischof irgendwann gelungen war, den Ort aufzusuchen, hatte er die Lade offensichtlich nicht gefunden. Stattdessen waren Gottes schriftliche Gebote an sein Volk in dem Sack unter Vincents Fingerspitzen – oder einem sehr ähnlichen – um die Welt gereist.
Und hatten im unsteten Griff eines Mannes mittleren Alters geendet, der an einer Schussverletzung starb. Aber noch war Vincent nicht tot.
»Danke«, flüsterte er und zog den Sack heraus. Leise glitten die Steintafeln aus dem Loch. Verglichen zu dem Zementblock war das Gewicht erträglich.
Er riskierte eine nähere Berührung, spürte rauen Stoff zwischen glattem Stein und seinen Fingern, tastete nach etwaigen Beschädigungen. Die Tafeln fühlten sich unversehrt an. Ein elektrisches Kribbeln kroch seine Finger entlang bis in den Arm. Vincent zog die Hand zurück. Aus dieser Nähe glich die Energie, die von den Tafeln ausging, einer Lampe vor seinem Gesicht. Es schien am klügsten, sie nicht zu lange zu berühren. Das Gefühl verursachte ihm Gänsehaut. Der Schimmer war am Rand seines Gesichtsfelds unverkennbar vorhanden. Er bot zwar kein sichtbares Licht im Raum, trotzdem war er ... irgendwie da.
Vincent ruhte sich aus und überlegte. Die Tafeln maßen knapp unter einem Meter in der Länge. Zwei fast einen Meter lange Steintafeln, die zusammen nur unbedeutend weniger wogen als der Zementblock, der ihm solche Probleme bereitet hatte. Und er musste sie von diesem Ort wegbringen.
Er begann den langen Weg zum Fuß der Leiter, indem er sich ein Stück vorwärts schleppte, den Sack seitlich neben sich nachzog, weiter vorrückte und das Ganze wiederholte. Nach ein paar Fehlversuchen fand er die Leiter.
Vincent wollte sich ausruhen, schlafen, doch er wusste, dass er nie mehr aufwachen würde. Und der Feind würde bald zurückkommen. Mit Sicherheit. Wohin sollte er gehen? Ihm war klar, dass er sich vor diesen Leuten nicht verstecken konnte. Selbst, wenn er lange genug lebte, um eine Zuflucht zu finden, würde er zu offensichtliche Spuren hinterlassen.
Es gab nur einen Ort, der sinnvoll schien. Wenn er dort stürbe, würde es wenigstens in Gottes Haus erfolgen. Es war das Beste, was er tun konnte. Doch davor musste er noch die Betonplatte über sich beiseite hieven, eine Aufgabe, die in seinem Zustand dem Versetzen eines Berges nahe kam.
Und dennoch: Er würde es bis zur Kirche schaffen. Danach würde alles bei Gott und vielleicht Nathan Dinneck liegen. Sofern der junge Priester noch am Leben war.
Kapitel Sechzig
Nathan war am Leben und dachte verzweifelt über einen Plan nach, um diesem Schlamassel zu entrinnen. Josh hatte sich nicht aus freiem Willen gegen sie gewandt. Quinns Hypnosetrick ließ sich mit augenscheinlicher Mühelosigkeit bei jedem einsetzen.
Bei fast jedem. Wieder grübelte Nathan über den Vorfall
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