Das Grab des Salomon
auf dem Altar, zu weit entfernt für Tarretti, um sie zu erreichen, ohne sich zu verraten, sollte er seinen Tod weiterhin nur vortäuschen. Quinn schwenkte den Strahl der Taschenlampe von dem Schatz weg und sah abermals jenen fahlen Schimmer; er spürte ihn sogar wie ein elektrisches Kribbeln im Gesicht.
»Ich –« setzte Quinn an, doch die überwältigende Bedeutung dessen, was er sagen wollte, ließ die Worte in seiner Kehle stecken bleiben. So lange hatten sie gesucht. So lange, und nun würde er derjenige sein, der die Sache erfolgreich zu Ende führte. Weder sein Onkel noch ein namenloser Anhänger des Moloch in weiteren hundert Jahren. Er würde es zu Ende bringen.
Tränen traten ihm in die Augen. Mit der Hand, in der er die Taschenlampe hielt, wischte er sich über das Gesicht. Bevor er wagte, die Tafeln zu berühren, musste er sich den Anspruch darauf sichern. Sie mussten offiziell den Besitzer wechseln.
Ohne den anderen Beachtung zu schenken, ging er in den Altarraum und senkte die zitternden Hände. »Ich erhebe Anspruch auf diesen Schatz«, flüsterte er zunächst, ehe er sich räusperte und mit lauterer, selbstsichererer Stimme fortfuhr, »der einst Salomo gehörte, dem König von Israel, einem huldvollen Diener des dunklen Gottes Moloch. In Molochs Namen ergreife ich Besitz von den Gesetzestafeln, auf dass sie in die Obhut der Ammoniter übergehen, der ewig treuen Diener des Moloch, jetzt ...« – er streckte die Hände nach den Tafeln aus – »... und für immer.«
Damit schloss er die Finger um den Sack und die Reliquie darin. Sofort spürte er, wie die Macht der Tafeln durch seine Hände und weiter die Arme hinaufströmte. Einen Lidschlag lang glaubte er, in Flammen auszubrechen und zu schmelzen wie in einem absurden Hollywoodstreifen. Doch dem war nicht so. Die Macht strömte durch ihn hindurch. Sein Körper fungierte als Leiter. Die Macht tötete ihn nicht, sie verlieh ihm Kraft . Schlagartig begriff er, wie Tarretti trotz seiner Verletzung eine so lange und beschwerliche Reise überleben konnte.
Quinn stand auf und wollte vor schierer Freude auflachen. Nathan Dinneck kam ihm zuvor. Der Junge lachte – ein matter, kläglicher Versuch, Gelassenheit zu demonstrieren. Aber Quinn hörte die nackte Angst dahinter. Auch das verlieh ihm Kraft.
»Salomo war kein Diener eines Dämons. Sie machen sich was vor, wenn Sie –«
»Er hat später in seinem illustren Leben vielen dunklen Göttern die Gefolgschaft gelobt. Das wissen Sie sehr wohl. Zugegeben, es hing davon ab, welche seiner Frauen er gerade zu erfreuen versuchte.« Langsam, ehrfürchtig kehrte Quinn aus dem Altarraum zurück. Wie zuvor stellte er sich vor die erste Kirchbankreihe. »Wenn man sich dem Moloch verschreibt, und sei es nur, um sich bei einer Frau einzuschmeicheln, gilt ein solches Gelübde für immer. Sagt das nicht Ihr Gott von seinen eigenen Leuten?«
Er spähte auf die vorderste Kirchbank, und ein weiterer Schauder der Erregung durchlief ihn. Paulson hatte den Benzinkanister wie befohlen mitgebracht. Außerdem hatte er die hohen Farbglasfenster vorne und seitlich geöffnet. Die oberen Teile waren fix montiert, die unteren Hälften jedoch ließen sich mittels einer Kurbel nach außen öffnen. Paulson hatte seine Sache gut gemacht. Treu bis zum Ende , dachte Quinn. Mittlerweile quoll er über vor Freude. Alles hatte sich zusammengefügt.
Paulson streckte die Hand aus und ergriff matt sein Hosenbein. Quinn trat seinen Arm beiseite.
Dinneck stellte weiter sein verängstigtes Halblächeln zur Schau. »Wahrscheinlich wurden Sie wieder zum Narren gehalten, Quinn. Wenn das die echten Gesetzestafeln wären, müssten Sie bereits tot sein. Sie wissen so gut wie ich, dass nur Priester Gottes sie berühren können.«
Wie grauenhaft ahnungslos dieser Geistliche doch war. »Wenn Sie in den Armen hätten, was ich gerade halte, Herr Pastor, würden Sie schweigen. Ich spürte ihre Macht, und sie verleihen mir Kraft. Haben Sie nicht gehört, wie ich sie in Besitz genommen habe? Die Gesetzestafeln gehören Ihrem Gott jetzt nicht mehr. Sie gehören meinem Meister. Und ich bin ab sofort sein Hohepriester.«
Dinneck schüttelte den Kopf. Plötzlich wurde Quinn klar, dass der Priester auf Zeit spielte. Für Quinn schien sie sich in seiner Verzückung verlangsamt zu haben. Aber nicht für den Rest der Welt. Falls ein Nachbar Tarrettis Schuss gehört hatte, würde die Polizei jeden Augenblick eintreffen. Dinneck wusste das. Der Junge war
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