Das Grab des Salomon
seinem Nachfolger.
Vielleicht.
Vincent kauerte sich nieder und hob den abgebrochenen Teil eines Asts auf, den wahrscheinlich der heftige Wind der vergangenen Nacht von einem Baum geweht hatte. Er ging zur Mauer und warf das Holzstück darüber, dann ergriff er die Mülltüte und kehrte langsam zum Friedhofseingang zurück.
Kapitel Neun
Samstagnacht. Nathan legte den Stift auf das Papier und kniff sich den Nasenrücken. Hayden hatte sich zur üblichen Zeit zu Bett begeben und ihn in Ruhe an seiner bevorstehenden Predigt arbeiten lassen. Nathan wollte, dass sie etwas Besonderes würde. Der Beginn in einer neuen Gemeinde war an sich schwierig genug, aber bei seinem Auftreten hier musste er zudem seine Rolle als geistlicher Vorstand der Kirche über jener des kleinen Nate Dinnecks hervorheben, der an den heimischen Herd zurückgekehrt war. Seine Gedanken pendelten zwischen der Geschichte vom heimkehrenden Sohn und Jesu Rückkehr in seine Heimatstadt hin und her. Natürlich wurde bei Letzterer Christus nicht mit offenen Armen aufgenommen. Ob es ein guter Start wäre, den Menschen vor Augen zu führen, wie Jesus von seinem Volk abgelehnt wurde, was es später noch bereuen sollte?
Nein, nein . Sich mit Jesus vergleichen? Keine gute Idee. Er ergriff den Stift und strich jenen Abschnitt seiner Notizen durch.
Seine Konzentration wurde ständig von der Erinnerung an die Engel abgelenkt, die er am Mittwoch auf dem Friedhof gesehen hatte. Er wünschte, sie wären an jenem Vormittag noch länger über das Gelände gegangen und jenen Statuen näher gekommen, um sich von dem zu überzeugen, was er erkannt zu haben glaubte. Nach Nathans Reaktion auf die Engel schien Tarretti das Treffen vorsätzlich beendet zu haben. Der Friedhofswärter hatte seine Gedanken gespürt – zumindest hatte es sich zu jenem Zeitpunkt so angefühlt.
Im Nachhinein und nach drei Tagen und Nächten ohne Albträume betrachtet, meinte Nathan zu verstehen, was vor sich ging. Bammel vor den ersten Tagen. Er konnte sich noch immer nicht erinnern, je auf dem Friedhof an der Greenwood Street gewesen zu sein, selbst als Kind nicht, trotzdem musste er die Statuen schon einmal gesehen haben. Vielleicht hatte er bei einem Spaziergang durch den Wald einen flüchtigen Blick darauf erhascht oder beim Vorüberfahren im Winter, wenn die schützenden Blätter der Bäume gefallen waren.
Der Rest der Woche war hektisch verlaufen, da er zusammen mit Hayden all jene Gemeindemitglieder aufgesucht hatte, die nicht außer Haus gehen konnten, um den Gottesdienst zu besuchen. So waren sie sowohl im Lakeside Hospital als auch im Medical City in Worcester von Zimmer zu Zimmer gegangen, wobei sie sich an die von den Verwaltungen bereitgestellten Listen der baptistischen und anderen christlichen Patienten gehalten hatten. Der Staat hatte unlängst ein Gesetz verabschiedet, das es Krankenhäusern untersagte, die Glaubensbekenntnisse ihrer Patienten preiszugeben, aber Hayden konnte äußerst überzeugend auftreten, wenn er wollte. Außerdem hielt ein Großteil des Personals das Gesetz für lächerlich und ignorierte es.
Es waren lehrreiche und angenehme Tage gewesen. Hayden erwies sich als kein großer Redner, aber wie bei ihrem Spaziergang zum Friedhof fühlte Nathan sich durch sein Schweigen nie unbehaglich. Der alte Mann strahlte eine Ruhe und Selbstsicherheit aus, die ansteckend wirkte.
Nathan blickte zurück auf das Papier vor ihm und überlegte, doch Jesu Heimkehr anzusprechen, allerdings mit weniger Betonung auf den Vergleich mit seiner eigenen Situation.
Ein Bild der Engel aus Stein schob sich plötzlich so klar in seinen Verstand, dass er blinzeln und sich konzentrieren musste, um die handgeschriebenen Worte auf der Seite lesen zu können. Er spürte so etwas wie ein Jucken im Gehirn, als hätte er etwas vergessen. So konnte er nicht weitermachen. Er musste reinen Tisch machen, irgendwie den zurückgebliebenen Müll aus seinen alten Träumen beseitigen, seinen Verstand für das frei bekommen, was wirklich zählte.
Morgen oder wahrscheinlich eher am Montag würde er versuchen, sich etwas Zeit abzuzwacken, um zum Friedhof zurückzukehren. Sollte ihn jemand dabei sehen, konnte er sagen, er wäre noch einmal dort, um weitere der Steinarbeiten zu bewundern. In gewisser Weise würde das sogar stimmen.
Mit diesem Entschluss stellte sich seine Konzentration allmählich wieder ein. Er griff zum Stift und begann zu schreiben.
Kapitel Zehn
Es gab Momente, manchmal ganze Tage,
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