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Das Grab des Salomon

Das Grab des Salomon

Titel: Das Grab des Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G Keohane
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an denen Vincent Tarretti an seiner Berufung zweifelte. Zeiten, in denen er den Fehler beging, sein Leben zu betrachten, dem es an jeglicher Substanz mangelte, seit er Kalifornien verlassen hatte. Jeden Tag erwachte er, stand auf, duschte, frühstückte und las die Worcester Telegram . Danach begab er sich an die Arbeit auf dem Friedhof, wobei ihm Johnson stets getreu folgte, während er das Gelände in Ordnung hielt. Vincent sprach mit dem Hund wie mit einem Menschen und war sich des Umstands bewusst, dass ihn viele in der Stadt deswegen für etwas verrückt hielten.
    Vielleicht war er das auch. Man kapselte sich nicht einfach so vom Rest der Welt ab, um etwas von solcher Bedeutung zu hüten, ohne dabei ein wenig verschroben zu werden. Eines Abends vor ein paar Jahren hatte er sich einen populären Film namens A Beautiful Mind ausgeliehen. Die Vorstellung, dass ein Mensch derart in seinen Halluzinationen aufgehen konnte, hatte ihm eine Heidenangst eingejagt – umso mehr, da der Film auf einer wahren Begebenheit beruhte. Hatte er sein Leben genauso vergeudet? Lag in Salomons Grab in Wahrheit lediglich der längst verstorbene Körper eines echten Menschen?
    Jener Augenblick damals war besonders schwierig gewesen. Erst, nachdem er auf die Knie gesunken, Gott um klaren Verstand angefleht und gebetet hatte, bis er sich kaum noch wach halten konnte, hatte er sich etwas besser gefühlt.
    So wie heute hatte er auch damals die Antwort verstanden, die Gott ihm ins Herz gepflanzt hatte. Seit er vor Jahrzehnten nach Hillcrest gekommen war, hatte er sich selbst vor anderen Menschen verborgen, die im Licht des Glaubens lebten, und nie den Gottesdienst besucht. Er hatte nie zwischen jenen gesessen, die ebenfalls mit ganzem Herzen und aus tiefster Seele glaubten. Am Sonntag, nachdem er sich den Film angesehen hatte, war er ziellos durch die benachbarten Ortschaften gefahren und dabei an einer kleinen, konfessionslosen Kirche zwischen ein paar Bäumen in der Ortschaft Boylston vorbeigekommen. Plötzlich hatte sich etwas in seinem Herzen geregt. Er hatte den Wagen gewendet, ihn auf den Parkplatz rollen lassen und sich der kleinen Schar angeschlossen, die sich über die Sitzreihen verteilte. Von vielen war er als Neuankömmling erkannt und herzlich begrüßt worden. Vincent war nervös gewesen, wie immer, wenn ihm zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. In der Vergangenheit hatte er nie gewusst, ob jemand freundlich zu ihm sein wollte oder ob er entdeckt worden war; ob die lächelnde alte Dame, die ihm die Hand entgegenstreckte, bereit gewesen wäre, ihm die Kehle durchzuschneiden, um an die in seiner neuen Heimatstatt vergrabene Reliquie zu gelangen.
    An jenem Morgen hatte er hinten in der Kirche Platz genommen. Als der Gottesdienst vorüber war, hatte er sich von erneuertem Glauben beseelt gefühlt und war plötzlich unbeschreiblich stolz auf seine Berufung gewesen. Er war keineswegs verrückt. Gewiss, seine Situation glich der von niemandem außer jener seiner Vorgänger, aber wenn er verrückt war, weil er Gott so blind vertrauend folgte, dann traf das auch auf alle diese anderen guten Menschen zu. Und sie wirkten auf ihn keineswegs verrückt. Obwohl er weiterhin die Kirchen in seiner eigenen Ortschaft mied – vermutlich wusste nicht einmal jemand in Hillcrest, dass er Christ war –, ließ er seit jenem ersten Sonntag keinen Gottesdienst in Boylston mehr aus. Der gegenwärtige Sonntagmorgen hatte keine Ausnahme gebildet. Wieder hatte er eine erhebende Predigt gehört und war daran erinnert worden, dass er zwar ohne menschliche Gesellschaft arbeiten und leben mochte, aber dennoch nie alleine war.
    Einsam , ja, manchmal schmerzlich einsam, aber nie alleine.
    Bevor Vincent Tarretti zum Hüter geworden war, hatte er solche Einsamkeit nicht gekannt. Als Kind war er in die Kirche geschleift worden und musste sich anhören, wie der langatmige Priester über die Erlösung wetterte. Dabei hatte er sich zumeist auf die schwarzhaarige Melissa Alvaraz konzentriert, die mit ihrer Familie stets auf der vordersten Kirchbank saß.
    In seinem vorletzten Jahr an der Highschool erfuhr Vincent, der zu der Zeit auf »Vinnie oder Mr. Tarretti, dazwischen gibt es nichts« bestand, zu seiner Freude, dass Melissa dieselben Sonntage damit verbrachte, an ihn zu denken. Bald waren sie untrennbar. Anfangs entwickelte die Beziehung sich rein platonisch, da sich die gemeinsame evangelische Erziehung zumindest ein wenig auf ihr Verhalten durchschlug. Aber

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