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Das Grab des Salomon

Das Grab des Salomon

Titel: Das Grab des Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G Keohane
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Mädchens mit müdem Blick. Die junge Frau schien überall hinzuschauen außer in seine Richtung. Er ließ den Arm sinken und sagte: »Jeder stirbt mal. Ich genauso wie Sie.«
    »In gewisser Weise«, erwiderte sie, ohne den Blickkontakt abzubrechen, »sind Sie bereits tot. Sie haben sich dazu entschlossen, das Vergessen zu wählen. Aber jetzt«, fuhr sie fort und legte die betagten Hände flach auf den Tisch, »ungeachtet der offensichtlichen Auswirkungen ihrer Entscheidung, braucht Sie Gott. Sie werden für immer zu trinken aufhören und mich begleiten müssen.«
    In seinem Zustand vermochte der Umstand, dass diese Frau die verschwommenen Gedanken aussprach, die ihm nur wenige Augenblicke zuvor durch den Kopf gegangen waren, ihn nicht zu überraschen. Er lächelte nur und meinte: »Ach ja? Wohin denn?«
    »Nach Massachusetts.«
    Die Antwort erfolgte mit solcher Überzeugungskraft, dass Vinnie sich aufrechter hinsetzte. Hollywood strotzte vor mehr Spinnern und waschechten Verrückten, als er je zählen könnte, dennoch belustigten sie ihn immer wieder.
    »Massa- was?« Er kicherte, was sich in jenen Tagen fremdartig für ihn anfühlte. »Und warum sollte ich das tun?«
    »Das sagte ich bereits – weil ich sterbe und Gott mich hergeschickt hat, um Sie zu finden.« Sie schaute sich um, und zum ersten Mal sah Vinnie die ruhige Gewissheit in ihren Zügen kurz flackern. »Alles, was ich hier sehe, Sie mit eingeschlossen, ist genau wie in dem Traum. Es besteht kein Zweifel.« Mit diesen Worten kehrte ihre Entschlossenheit zurück.
    »Ja, und was genau werde ich in Massachusetts machen? Am Flughafen Blumen verhökern?«
    Sie lächelte. »Nein. Sie werden der neue Hüter des Friedhofs der Stadt. Hillcrest, Massachusetts, um genau zu sein. Das ist eine nette kleine Ortschaft ein paar Meilen nördlich einer Stadt namens Worcester. Ist sehr schön dort.«
    Vinnie beugte sich über den Tisch. Die runzligen Hände verharrten flach darauf. Er flüsterte: »Hauen Sie sofort ab, oder ich schwöre bei Gott –«
    Da hob sie die Hände und berührte seine Wangen.
    Und die Kneipe verschwand.
    Vinnie Tarretti sah das Antlitz Gottes in Form von Flammen, die seine Gebote in Steintafeln brannten ... Ein verängstigter alter Mann trug sie einen Berg hinab und zerschmetterte sie vor Zorn beim Anblick der Götzenverehrung vor ihm; er ging zurück auf den Berg, kehrte mit neuen Tafeln zurück, legte sie in ein mit dem Gold zerstörter Götzenbilder verziertes Tabernakel und trug es vierzig Jahre lang durch die Wüste; dann errichtete König Salomon, groß, mit geflochtenem Bart, wallenden Gewändern und unermesslich reich, den Tempel Gottes und verwahrte die goldene Bundeslade unter Engelsflügeln aus Gold, und ...
    Er übergab sich quer über den Tisch. In den Tagen, die folgten, fand er nie heraus – und wagte nicht zu fragen –, ob er auch über die alte Frau erbrochen hatte. Aber als Vinnie die Besinnung verlor, spürte er, wie sein Leben und das verbrannten, was von seiner Seele noch übrig war. Die Welt, die er gekannt hatte, wurde im Licht von Gottes Vision verblasen wie Asche im Wind.
    Als er aufwachte, befand er sich im Krankenhaus. »Alkoholvergiftung« stand in der Krankenakte. Da er keine Versicherung besaß, wurde er entlassen, sobald er wieder auf eigenen Beinen stehen konnte. Vinnie ging hinaus in das schmerzlich helle Tageslicht und die dichte, verschmutzte Luft. Ein asiatischer Mann winkte ihm aus einem am Straßenrand wartenden Taxi zu, sprang aus dem Wagen und öffnete die hintere Tür, ohne auf eine Reaktion von Vinnie zu warten. Vinnie kletterte instinktiv auf den Rücksitz. Bevor er auch nur mit dem Gedanken spielen konnte, wieder auszusteigen, hatte das Taxi sich bereits in den Verkehr eingereiht.
    Die alte Frau aus Massachusetts hatte neben ihm gesessen, ihm die Hand getätschelt und gemeint: »Zeit zum Aufbruch, Vincent.«
    Sechsundzwanzig Jahre später hielt Vincent mit seinem Chevy Blazer an der Rückseite seines kleinen Friedhofswärterhäuschens an und genoss noch die Freude, die ihm der Gottesdienst jenes Morgens bereitet hatte. Johnson begrüßte ihn kläffend aus dem Haus, wie er es jedes Mal tat, wenn Vincent sich ohne ihn irgendwohin begab. Allerdings hörte Johnsons Gebell sich diesmal anders an. Eine zornige, warnende Note schwang darin mit.
    Den Grund dafür erkannte er, als er den Schlüsselbund schwingend zur Vorderseite des Hauses herumging. Auf der Veranda stand ein kleinwüchsiger Mann, die Hände

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