Das Grab des Salomon
Gottes mit einem so interessierten Zuhörer teilen zu können. Auch als Nathan alt genug gewesen war, um abends alleine zu Hause zu bleiben, hatte er sich über die Besuche und die Gesellschaft dieser Frau gefreut. Ihr schien es damals stets ähnlich zu gehen, wenn sie Abschnitte aus jener Bibel diskutiert hatten, die Nathan nun in der Hand hielt; zu jener Zeit war das Buch noch weniger abgewetzt und zerfranst gewesen, wenngleich nicht viel weniger.
Hätte Nathan beantworten müssen, wann ihm zum ersten Mal der Gedanke gekommen war, Priester zu werden, wären ihm keine prägenderen Augenblicke als jene Nachmittage in Mrs. Conans Wohnzimmer eingefallen.
Eben wollte er ihr dies mitteilen, als sie plötzlich an ihm vorbei zur Tür schaute und noch breiter lächelte. »Sieht so aus, als hättest du jetzt Besuch, Nate.«
Nathan drehte sich um und wusste bereits, wen er erblickten würde.
Elizabeth O‘Brian sah noch genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Nur ein wenig mehr Entschlossenheit sprach aus ihrem Gesicht, eine Entschlossenheit, die mit der Reife einherging, die sie beide im Verlauf der vergangenen fünf Jahre erlangt hatten. Was jedoch den weichen, engelsgleichen Zügen keinen Abbruch tat, zu denen er sich von jeher hingezogen fühlte. Sie trug Jeans und Turnschuhe, einen blauen Pullover und ein Namensschild, auf dem »Elizabeth O.« stand. Wenngleich sie nicht ganz an seine Größe heranreichte, war sie doch größer als die meisten Frauen und besaß die leicht üppige Figur von jemandem, der stets mit seinem Gewicht im Clinch lag und zwar einige, aber niemals alle Schlachten gewann. Ihre blonde Mähne wirkte so dicht und unbändig wie immer.
Das Lächeln in ihrem Gesicht erfüllte sein Herz mit unerwarteter Freude.
»Hi«, begrüßte sie ihn und steckte die Hände in die Hosentaschen. Jetzt braucht sie sich nur noch gegen den Türrahmen zu lehnen , dachte Nathan, und sie sieht – um einen Ausdruck zu verwenden, auf den Josh steht – unverschämt cool aus.
»Hi«, gab er mit dem Wissen zurück, dass dies es so ziemlich die lahmste Erwiderung war, die jemandem einfallen konnte. Mrs. Conans zierliche Hand zupfte an seinem Ärmel. Er sah sie an. Sie nickte in Richtung der Tür und sagte mit einem verschmitzten Grinsen: »Auf Wiedersehen, Nate.«
Kapitel Achtzehn
Der Kaffee im Personalpausenraum schmeckte überraschend gut. Nathan trank einen weiteren Schluck, als Elizabeth mit einer Dose Ginger Ale vom Automaten zurückkehrte. Sie setzte sich an einen kleinen Tisch neben ihn – nicht ihm gegenüber, wie er erwartet hatte.
Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Er wünschte, sie würden sich beruhigen.
Unwillkürlich überlegte er, ob seine Gefühle für diese Frau vielleicht noch so stark wie früher waren. Die Vorstellung verursachte einen schmerzlichen Stich – keinen körperlichen Schmerz, sondern ein quälendes Brennen im Herzen, das sich als nervöses Rumoren im Magen äußerte. Er konnte sie nicht lieben. Er war ein Diener Gottes, sie überzeugte Atheistin. Nein, davon war er nie wirklich überzeugt gewesen; nicht, nachdem er fünf Jahre Zeit gehabt hatte, sich jene verhängnisvolle Unterhaltung von damals immer wieder durch den Kopf gehen zu lassen. Sie wollte bloß nicht glauben.
Bedräng sie nicht , mahnte ihn eine innere Stimme. Es schien ein weiser Rat, wenngleich ihn der Gedanke ernüchterte.
»Ich dachte, Pastor Hayden würde erst nächste Woche abreisen«, sagte sie.
Nathan zog eine Augenbraue hoch. »Stimmt. Ich glaube, er wollte nur, dass ich mal alleine erste Gehversuche unternehme. Woher weißt du, wann er aufbricht?«
Elizabeth lächelte. »Mrs. Conan ist immer über den neuesten Klatsch informiert. Und gibt ihn an mich weiter, ob ich ihn hören will oder nicht.«
Nathan kam der Gedanke, dass Mrs. Conan auch von dem Vorfall am Sonntag wissen musste. Da die erste Frage aus Elizabeths Mund nicht »Geht es dir wieder besser?« gewesen war, hatte seine einstige Nachbarin wohl nichts davon erwähnt. Gott segne diese Frau.
»Du bist jetzt Krankenpflegerin?«, fragte er.
Sie nickte und betrachtete ihre Getränkedose. »Letztlich bin ich doch wieder zur Schule gegangen und habe meinen Abschluss gemacht. Ich konnte ja nicht zulassen, dass du eine höhere Ausbildung hast als ich.«
Unwillkürlich entgegnete Nathan: »Ja, aber ich bin auch geweiht. Technisch gesehen bedeutet das, ich stehe akademisch eine Stufe über dir.«
Sofort waren sie in ihren früheren,
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