Das Grab des Salomon
gerade erzähle? Sagen Sie es mir.«
Die Stimme, die kaum mehr als einem Flüstern, einem Atemzug glich, erwies sich als Schraubstock, aus dem es kein Entrinnen gab. Er musste Quinn von seinen Träumen erzählen, von Salomons Grab und den Engeln, einfach von allem. Mehr als das, Nathan wurde klar, dass er es tun wollte .
Er öffnete gerade den Mund, als eine Stimme durch den Raum hallte: »Hallo? Ist jemand da?« Der Raum nahm so schlagartig wieder feste Konturen an, dass Nathan scharf die Luft einsog und rücklings taumelte. Quinn stand unvermittelt eine solche Wut ins Gesicht geschrieben, dass er fürchtete, der Mann würde gleich knurren und den Sprecher anspringen.
Die Vertrautheit der Stimme trug zu der unbekannten Kraft bei, die den Bann gebrochen hatte. Er drehte sich um. Josh Everson trat einen weiteren Schritt in den Raum, die Hand nach wie vor am Griff der Eingangstür.
»Nate? Großer Gott, Nate, was ist denn los?« Er rannte halb durch den Raum. Nach Joshs Miene zu urteilen, musste Nathan so schlimm aussehen, wie er sich fühlte.
»Entschuldigen Sie mal«, sagte Quinn und hob die Hand. »Mr. Everson, nicht wahr? Wir hatten gerade eine Unterhaltung unter vier Augen.«
»Entschuldigung geschenkt«, gab Josh zurück, ohne den Blick von Nathan abzuwenden.
Quinns Fassung wankte ein wenig, und er sagte in krampfhaft beschwichtigendem Tonfall: »Bitte, Sie haben uns gestört. Der Herr Pastor und ich wollten –«
»Nate, geht es dir gut?«, fragte Josh.
Nathan nickte, wenngleich er sich nicht erinnern konnte, wann es ihm zuletzt weniger gut gegangen war. »Josh. Was ... was tust du denn hier?«
Sein Freund zuckte mit den Schultern. »Um ganz ehrlich zu sein, ich weiß nicht recht. Ich meine, ich habe dein Auto gesehen und ...« Er ließ den Satz unvollendet. Dabei wirkte er so verwirrt, wie Nathan selbst noch vor einer Minute gewesen war.
Nathan drehte sich um und sah Peter Quinn an. Der Mann hatte sich ein paar Schritte entfernt. Seine Lippen bildeten eine schmale Linie. Er war über die Störung sichtlich alles andere als erfreut.
Mit plötzlichem Schrecken erinnerte Nathan sich daran, wie dicht er davor gestanden hatte, diesem Mann alles zu erzählen. Er hätte nicht anders gekonnt, wäre machtlos gewesen. Diese Stimme ... Aber nein, solche Fähigkeiten gab es nur als Tricks von Zauberkünstlern und in Vampirfilmen.
Andererseits ließ sich Ähnliches auch von einer Reihe anderer Dinge behaupten, die sich bereits ereignet hatten. Jedenfalls wollte er nur noch nach draußen.
Quinns Gebaren war wieder rundum geschäftsmäßig, aber auf seiner Stirn hatte sich ein dünner Schweißfilm gebildet. »Bitte entschuldigen Sie, Herr Pastor, aber ich muss mich noch um einige andere Dinge kümmern. Vielen Dank für Ihren Besuch. Ich werde Ihrem Vater sagen, dass Sie hier waren. Er wird sich freuen.«
Das bezweifelte Nathan. Allerdings glaubte er aus unerfindlichem Grund nicht, dass Quinn es seinem Vater tatsächlich sagen würde. Warum ihn dieser Gedanke ereilte, vermochte er nicht zu sagen, aber in seiner Verwirrung gingen ihm so viele Dinge durch den Kopf, dass er beschloss, nicht weiter darüber nachzugrübeln.
Er ignorierte Quinn und sagte stattdessen zu Josh: »Lass uns gemeinsam gehen.« Sein Freund blickte erleichtert drein. Nathan schaute noch einmal zurück zum Gemälde des Moloch-Tempels, um sich davon zu überzeugen, dass es keine Einbildung gewesen war. Er erschauderte sichtlich und wandte sich rasch wieder davon ab. Peter Quinn beobachtete ihn, und dasselbe Halblächeln wie zuvor kehrte in seine Züge zurück. Er rief den beiden Männern auf dem Weg zur Tür hinterher: »Vielleicht können wir das Gespräch ein anderes Mal fortsetzen, Herr Pastor.« Alles wieder unter Kontrolle , sprach aus seiner Stimme. Nur ein kleiner Rückschlag .
»Vielleicht.« Nathan legte die Hand auf den Türgriff. Josh hielt ihn lose am Arm, als wollte er bereit sein, sollte sein Freund stürzen. Was Nathan jedoch ebenso wenig vorhatte, wie je wieder mit Quinn zu sprechen, wenn es sich vermeiden ließe.
Kapitel Sechsunddreißig
Gemeinsam traten sie hinaus in die kühle Luft, die Nathan kaum spürte. Seine Beine fühlten sich so schwer an, als klebten Unmengen von Lehm an seinen Schuhen. Zu viel , dachte er. Das ist mir alles zu viel .
Seine Welt war immer klar definiert gewesen. Selbst sein Glaube hatte stets eine geradlinige Entschlossenheit dargestellt, die nie ins Wanken geriet. Nun fand er sich plötzlich in
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