Das Grab des Tauren
große Stufe wirkte, während die andere Hälfte den Blick in eine schwarze, bodenlose Tiefe gleiten ließ.
»Wir brauchen Licht«, sagte Thonensen. »Soviel ihr habt. Zündet alle Lampen an.«
Während die Zwillinge und Merryone sich daran machten, die Lampen herbeizuschaffen, starrten die Lorvaner mit wenig Begeisterung in die Schwärze.
»Kannst du etwas erkennen?« fragte Nottr den Magier.
Der schüttelte den Kopf. »Nein. Mein Auge ist blind. Die Kraft ist verbraucht. Ich sehe nicht mehr als ihr.«
»Willst du da hinab?«
»Wenn es einen Weg gibt«, erwiderte Thonensen entschlossen.
Nottr seufzte. »Dann werde ich mit dir gehen.«
Thonensen grinste. »Damit habe ich gerechnet, Freund.«
»Sollten wir nicht bis zum Tagesanbruch warten?«
»Es wird da unten nicht heller werden.«
Die Kinder brachten ein Dutzend Lampen. Die Lorvaner nahmen jeder eine und stellten sich um die Öffnung. Thonensen nahm zwei, Nottr gar drei. Dann machten sie sich daran, auf den abgesunkenen Stein hinabzusteigen.
»Nottr!« Lella trat rasch zu ihm. Sie drückte dem Überraschten Seelenwind in die Faust. »Es mag sein, daß du sie brauchst, mein Tiger.«
Seine Augen leuchteten auf. Es war ein beruhigendes Gefühl, Horcans Seelen wieder um sich zu haben. Da unten mochte er die Klinge wohl gebrauchen. Wenn nicht gegen Mensch oder Tier, so vielleicht gegen Dämonen. Es stank unbestreitbar danach.
Als Thonensen auf dem tieferen Quader stand, begann sich dieser unvermittelt zu senken. Er erschrak und verlor fast das Gleichgewicht. Nottr sprang hastig hinterher. Aber der Quader glitt nur ein kurzes Stück abwärts, als wäre der Mechanismus lediglich blockiert gewesen. Vor den beiden hing der Korb. Er war aus Metall, staubbedeckt und wenig einladend.
Er hing an einer Kette aus seltsamen Gliedern, die zwischen eisernen Rädern verschwand.
»Imrirr hält mich für einen Narren, wenn ich hier einsteige«, murmelte Nottr. Er sah, wie Thonensen sich einen Ruck gab und einstieg. Der Korb schaukelte. Nottr verwünschte den Magier. Dann folgte er ihm.
»Wir werden Baragg brauchen, um diese Räder zu drehen, oder den Jungen, der hat mehr Kraft…«
»Ich glaube nicht, daß jemand sie von oben bewegen kann. Dazu müßten wir eine Winde sehen und einen Platz, wo jemand stehen kann. Ich glaube, ich habe einen ähnlichen Mechanismus schon einmal gesehen… auf einer Burg in Ugalien, wo sie schwere Lasten damit bewegten. Dazu benutzten sie Seile und Räder. Hier… ah, hier…«
Der Magier bewegte einen eisernen Hebel. Die Räder begannen sich quietschend zu drehen. Nottr war es, als verlöre er den Boden unter den Füßen. Mit einem Aufschrei griff er nach der Kette, die an der Seite des Korbes herabhing. Mit einem Ruck hielt der Korb. Nottr fluchte, halb vor panischer Furcht und halb vor Übelkeit, denn der Korb schwankte wie ein Schiff in schwerer See.
Thonensen nahm ihm die Lampen ab. Nottr steckte die Klinge in seinen Gürtel, ohne die Kette loszulassen. Dann ließ er sie langsam durch die Hände gleiten, wie der Magier es ihm erklärte. Der Korb beruhigte sich, und sie sanken sanft in die Schwärze.
Thonensen streckte die Arme mit den Lampen weit vor. Das Licht wirkte verloren in dem großen kalten Gewölbe. Das Klirren der Ketten hatte ein leises Echo, und es klang, als ob sie flüsterten.
Felswand war nun zu sehen, und gleich darauf das matte Schimmern von getriebenem Metall.
Der Helm des Tauren. Er war gewaltig, größer als der eiserne Korb, in dem die Männer standen. Das Metall glänzte silbern. Der Helmrand glitt nach 6ben, und das schwankende Licht fiel auf die Augen des Tauren – oder besser, auf die leeren Höhlen des Schädels. Der Anblick war erschreckend, das bleiche knöcherne Gesicht fast zwei Manneslängen groß.
Der Korb setzte unvermittelt auf. Eine weiße Plattform war unter ihnen, offenbar der Kopf einer steinerne Säule.
Thonensen stieg aus und entdeckte nicht weit entfernt die Retten eines Korbes, mit dem man weiter in die Tiefe hinabfahren konnte. Sein Licht fiel auf schenkeldicke Stämme, die ebenfalls vom Boden heraufragten und mit Querstämmen verbunden waren. Auf den obersten Querhölzern ruhte der schwere Helm. Tiefer unten mochte dieses Gerüst die Arme stützen und andere Teile des Körpers und des Rüstzeugs, um den Toten in aufrechter Stellung zu halten, doch war das Licht zu spärlich, um es erkennen zu lassen.
In die Stille und die Kälte drangen plötzlich heftige Worte von oben herab. Sie
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