Das Grab im Moor
er und streckte sich nach dem Glas, das neben dem Bett stand.
In diesem Augenblick packte Engla heftig und entschlossen seinen Arm.
Das Glas fiel zu Boden. Karl durchfuhr es eiskalt. Gerade eben war sie doch noch gelähmt gewesen und jetzt zog sie ihn zu sich herunter.
Immer näher zog sie sein Gesicht an ihres heran, bis sein Ohr fast ihren hängenden Mundwinkel berührte.
Sie sprach monoton und undeutlich.
»Du. Ihr. Ihr müsst es finden. Bevor es zu spät ist.«
Ihr Atem ging rasselnd.
»Du musst uns helfen. Du bist der Auserwählte. Nur ihr könnt, du und sie . . . Und sie ist in Gefahr.«
Wovon redete Engla? Von Sara? War seine Freundin in Gefahr? Aber warum? Und was meinte sie damit, dass er auserwählt wäre? Karl verstand überhaupt nichts.
»Du musst, Karl. Bevor sie . . . finden.«
Die letzten Worte gingen in einem Hustenanfall unter. Ihr Kinn sackte auf die Brust.
»Na, Engla. Wie geht's uns denn heute?«, tönte plötzlich eine Stimme aus Richtung der Tür.
Doktor Ekwall betrat den Raum, aber als er Karl neben Englas Bett sitzen sah, blieb er wie angewurzelt stehen.
Karls Blick wanderte von Doktor Ekwall zurück zu Engla, die wieder wie gelähmt in ihrem Bett lag. Nur sein Handgelenk schmerzte noch immer von ihrem festen Griff.
Mit kaum verhohlenem Zorn funkelte Doktor Ekwall ihn an.
»Was hast du hier zu suchen? Engla ist krank. Sie braucht ihre Ruhe.«
Er öffnete seine Ledertasche und zog eine Kanüle heraus. Für einen kurzen Moment fürchtete Karl, Doktor Ekwall wolle ihm eine Spritze verpassen, aber dann wurde ihm klar, dass sie natürlich für Engla bestimmt war.
»Nun, du schnüffelst offenbar gerne herum und steckst deine Nase in Angelegenheiten, die dich nichts angehen. Aber einen kranken, alten Menschen zu stören . . .«
Hastigstand Karl auf.
»Ich bin mit meinem Großvater hier …«
Der Doktor schob Karl unsanft beiseite und trat mit der Spritze neben Engla. Karl glaubte, Angst in ihren Augen zu erkennen, aber sie rührte sich nicht.
»So, ja«, Doktor Ekwalls Stimme war weich wie Seide, als er mit Engla sprach. »Du wirst sehen, alles wird gut.«
Er gab ihr die Spritze und tätschelte ihr beiläufig den Kopf.
»Ich glaube, sie hätte gerne etwas Wasser«, sagte Karl und hob das Glas vom Boden auf.
»Nun . . .«, sagte Doktor Ekwall, drehte sich um und musterte ihn. »Glauben kannst du in der Kirche, aber du solltest besser aufhören, deine Nase überall reinzustecken. So etwas kann manchmal böse enden.«
Ekwall drehte sich um und beugte sich über Engla. Sie stöhnte leise.
»Das ist die Wirkung der Spritze. Gleich wird sie sich etwas entspannen können.«
Unvermittelt lächelte Doktor Ekwall Karl an, aber seine Augen blieben so kalt wie immer.
»Und deinem Großvater und deiner Mutter geht es gut? Ich könnte mir vorstellen, dass ihr euch Sorgen macht, solange Louise draußen auf See ist. Was da alles passieren kann . . .«
Gerade da kam Großvater zurück ins Zimmer, in der einen Hand die Blumenvase und eine Kanne Wasser für Engla in der anderen. Grimmig sah er den Doktor an.
»Komm, Karl, es ist Zeit für uns zu gehen.«
Auf dem Weg nach draußen warf Karl noch einen Blick in die Küche. Kolumbus, der Papagei, war noch immer stumm wie ein Fisch. Überhaupt schienen alle Vögel verstummt zu sein. Und selbst wenn Sara sich über ihn lustig machte, wusste Karl doch sehr genau, dass Papageien im Winter ebenso viel plapperten wie im Sommer.
Kapitel 7
Als Karl am Morgen des Heiligen Abends die Treppe herunterschlich, war seine Mutter bereits zu Hause. In ihre riesige, bestickte Jacke gewickelt, saß sie in der Küche und trank Tee. Im ganzen Haus duftete es nach Nelken und Wachs.
Karl stürzte sich freudig in ihre Arme. Er hatte sie wahnsinnig vermisst!
»Frohe Weihnachten, Mama«, murmelte er.
»Frohe Weihnachten, Karl.«
Sie lächelte breit und zog ihr traditionelles Weihnachtsfrühstücks-Geschenk hervor. Gespannt packte Karl aus, während Mama frisches Teewasser aufsetzte.
Die Mission des Forschungsschiffes war dieses Mal bedeutend erfolgreicher verlaufen als beim letzten Mal. Sie hatten Messungen vorgenommen und Resultate bekommen, die sich im Kampf für den Sund verwenden ließen. Karls Mutter befürchtete, dass weitere Sprengungen den Lebensraum im Meer endgültig zerstören könnten. Ja, ihrer Meinung nach hatten schon die früheren Sprengungen in der Fahrrinne die Natur gewaltig aus dem Gleichgewicht gebracht.
Das Päckchen
Weitere Kostenlose Bücher