Das Grab im Moor
völlig missglückter Weihnachtsabend?«
Karl dachte nach. Der Weihnachtsmarkt hatte ihm gefallen und seine Geschenke freuten ihn auch. Aber er wusste, was das Beste am ganzen Tag gewesen war . . .
»Das Allerschönste war, dass du bei uns warst. Und dass wir in die Stadt gegangen sind und uns die Weihnachtsfenster angeschaut haben.«
Mama nickte.
»Ganz genau«, sagte sie. »Und wo wir gerade von Schwarzholz sprechen. Es gibt eine Spukgeschichte, die von den Weihnachtsfenstern handelt. Kennst du die schon?«
Karl schüttelte den Kopf. Mama sah auf die Uhr, räusperte sich und begann zu erzählen.
Ein Fenster für den Tod
»Diese Geschichte trug sich vor vielen, vielen Jahren zu. Weihnachten stand vor der Tür und für die Bewohner von Krabbsjögrund wurde es Zeit, die Weihnachtsfenster zu schmücken.
Damals war das Schmücken der Fenster ein regelrechter Wettbewerb und die beste Gelegenheit, den Nachbarn zu zeigen, wie erfolgreich man war. Die Leute steckten viel Zeit und Geld in ihre Dekoration und gaben sich große Mühe, ihr Fenster zum schönsten der Stadt zu machen.
Einer von ihnen war Albert der Tischler.
Alberts Bruder, der Arzt der Stadt, war bekannt für seine fantastischen Weihnachtsfenster. Er war sehr wohlhabend und kaufte die kostbarsten Dinge ein, darunter teure mechanische Wunderwerke aus Deutschland, die leuchteten und sich auf fast magische Weise bewegten.
Aber Albert der Tischler war ein armer Künstler. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seine herrlichen Schmuckstücke selbst zu schnitzen. Obwohl er sehr tüchtig war, verblassten seine Schnitzereien neben den farbenprächtigen Päckchen, Weihnachtsbäumen und glitzernden Sternen seines Bruders. Das alles trug mit dazu bei, dass die beiden Brüder nicht recht miteinander auskamen.
Schon als Kinder waren sie erbitterte Konkurrenten gewesen. Der wahre Grund ihrer Streitigkeiten aber war ein altes Familienschmuckstück. Ein Kleinod, das schon über viele Generationen in der Familie weitergegeben worden war. Der Sage nach war derjenige, der das Schmuckstück trug, nicht nur vor Unheil geschützt, sondern ihm oder ihr sollte auch alles gelingen, was er sich auf dieser Welt vornahm. Es war eine Art mächtiges Glücksamulett.
Nur erzählten die Leute sich auch, dass man sich des Amuletts erst würdig erweisen musste und dass man für die Hilfe, die man von ihm bekam, mit winzig kleinen Stücken seiner Seele bezahlte. Mit jedem Stück Seele aber, das man verlor, wurde man schwächer, während der gierige Geist des Amuletts wuchs, bis die Welle am Ende überschlug. Der Geist wurde stärker als der Träger des Amuletts und dann war es zu spät. Dann ließ sich das Böse nicht mehr länger beherrschen.
Das Amulett war schon Hunderte von Jahren von der Familie von Albert dem Tischler verwahrt worden. Sie sorgten dafür, dass es niemals in die falschen Hände fiel. Aber Albert und sein Bruder, der Arzt, hatten unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Hände die falschen waren. Sein Bruder war der Meinung, sie sollten es zum Nutzen der Stadt einsetzen. Albert hingegen war immer der Ansicht gewesen, dass es ihre Aufgabe war, darauf zu achten, dass niemand das Amulett benutzen konnte. Und darüber stritten die Brüder nun dauernd. Nur sie beide wussten, wo es sich befand: vergraben unter der großen Eiche am Hafen.
Irgendwann kam es so weit, dass Albert seinen Bruder verdächtigte, das Amulett von Zeit zu Zeit heimlich zu gebrauchen. Wie sonst war es zu erklären, dass ihm alles gelang?
Eines Abends, es war schon spät und furchtbar kalt, wanderte Albert durch die Stadt, hauptsächlich um sich warm zu halten. Er hatte schon lange nicht mehr genug Geld gehabt, um sich Brennholz für den Kamin zu kaufen. Die Kälte griff seine empfindlichen Schnitzerhände an und er machte sich große Sorgen, weil er nicht wusste, wie er so seine Figuren für das Weihnachtsfenster fertigstellen sollte. Würde er überhaupt weiter schnitzen können? Und wenn es ihm nicht gelang – wer würde dann in Zukunft noch seine Arbeit in Anspruch nehmen? Das Weihnachtsfenster war für Albert die wichtigste Gelegenheit, sein handwerkliches Können unter Beweis zu stellen.
In solche Grübeleien versunken lief er durch die Straßen, als er sich plötzlich vor dem Fenster seines Bruders wiederfand. Das Haus des Doktors war das erste der Stadt mit Stromversorgung und Albert sah, dass allerlei Kabel zum Weihnachtsfenster führten. Kisten mit gekauftem Schmuck
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