Das Grab im Moor
stapelten sich und warteten darauf, dass jemand – sicher bezahlte Handwerker – sie auspacken und das Fenster unschlagbar prächtig gestalten würde.
Da war es, als zerbräche etwas in Albert dem Tischler.
Er ging in den Hafen zu der großen Eiche und holte den Familienschatz aus seinem Versteck. Erst zögerte er, aber dann hängte er sich das Amulett um den Hals und lief schnurstracks zu seinem eigenen Weihnachtsfenster nach Hause. Kaum hatte er sein Schnitzmesser in die Hand genommen, spürte er, wie ihn unwiderstehliche Arbeitslust und Einfallsreichtum packten. Plötzlich wusste er genau, wie er sein Weihnachtsfenster gestalten würde, – so fantastisch, wie es noch kein vergleichbares in Krabbsjögrund gegeben hatte.
Sofort machte er sich wie ein Besessener an die Arbeit. Er schloss sich in dem kleinen Kämmerchen hinter dem Fenster ein und verhängte die Scheiben, damit niemand sehen konnte, woran er arbeitete. Schon bald verbreitete sich das Gerücht in der Stadt, dass Albert der Tischler an etwas ganz Besonderem schnitzte. Und dieses Gerücht erreichte auch seinen Bruder. Mehrere Male schlich er an Alberts Fenster vorbei, in der Hoffnung, einen kurzen Blick zu erhaschen, aber es gelang ihm nicht.
Am Weihnachtsmorgen waren alle früh auf den Beinen. Die Spannung und Vorfreude in ganz Krabbsjögrund war kaum mehr auszuhalten. Die Kinder rannten herum und versuchten, heimlich hinter die Gardinen und Vorhänge zu spähen, die die geschmückten Schaufenster verbargen.
Vor dem Fenster des Doktors versammelte sich bereits eine Traube Neugieriger. Der Arzt war in der letzten Zeit bei jedem noch so kurzen Gespräch sorgsam darauf bedacht gewesen, davon zu schwärmen, wie fabelhaft sein Fenster aussehen würde, und darüber hinaus hatte er allen Kindern kostenlose Süßigkeiten versprochen.
Dann war es so weit.
Die Decken und Vorhänge wurden gelüftet und die Leute wanderten von Fenster zu Fenster, um die Wunderwerke zu bestaunen. In diesem Jahr sollte wahrhaft niemand enttäuscht werden.
Das Fenster des Arztes war wie immer farbenprächtig gestaltet, mit Knallbonbons, Weihnachtswichteln und Engeln, die aussahen, als würden sie wirklich schweben. Aber ganz und gar hingerissen waren die Leute, als sie vor das Fenster von Albert dem Tischler traten.
Als das dem Arzt zu Ohren kam, eilte er sofort hinüber zum Haus seines Bruders und drängelte sich aufgebracht durch die Menschenmenge. Auf den ersten Blick sah das Arrangement von Albert dem Tischler nicht besonders eindrucksvoll aus. Er hatte eine Menge kleiner Häuser und Figuren aus schwarzem Eichenholz geschnitzt und in eine Winterlandschaft eingebettet. Aber schnell wurde dem Arzt klar, dass er auf eine vollkommene Miniaturausgabe der Stadt blickte. Da waren alle Häuser, alle Boote, der Hafen und kleine Straßenlaternen, in denen winzige Kerzen brannten, ja, sogar die Menschen, die in der Stadt lebten. In den geschnitzten Miniaturen konnten die Bürger der Stadt sich selbst erkennen, sie staunten und kicherten. Das Fenster von Albert dem Tischler war ein voller Erfolg.
›Aber seht mal da!‹, rief ein kleiner Junge.
Er hatte etwas entdeckt, das vor ihm noch keiner bemerkt hatte. Eines der Boote im Modellhafen war gesunken. Nur noch sein Bug ragte aus dem Wasser.
›Das ist doch dein Boot, Onkel Olaf‹, sagte der Junge zu einem der Fischer.
›Nein, das kann nicht sein‹, antwortete der Fischer. ›Mein Boot ist nicht gesunken.‹
›Bist du sicher?‹, beharrte der Junge.
Erst lachte der Fischer abwehrend, aber dann wurde er doch unsicher und verschwand eilig in den Hafen, um nach dem Rechten zu sehen. Ein großer Teil der Zuschauermenge folgte ihm in muntere Gespräche vertieft.
Verblüfft sah Albert der Tischler der Gruppe nach, die in Richtung Hafen zog.
Es dauerte nicht lange, da kehrte das Murmeln der Menschenmenge zurück zu Alberts Fenster. Alle waren beeindruckt, wie es ihm gelungen war, die Modelle so exakt anzufertigen. Olafs Boot war tatsächlich in dieser Nacht gesunken.
Fragend sah der Arzt seinen Bruder an.
›Woher wusstest du das?‹
Albert der Tischler war furchtbar blass geworden.
›Ich wusste es nicht‹, murmelte er. ›Als ich gestern Abend mit dem Modell fertig geworden bin, sah es noch nicht so aus. Irgendjemand muss . . .‹
Nervös tastete er nach dem Amulett, das er immer noch unter seinem Hemd verborgen um den Hals trug.
In dieser Nacht schloss Albert der Tischler sein Haus sorgfältig ab und zog auch die
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