Das Grab im Moor
Jungen zögerten nicht eine Sekunde. Schnell banden sie den Hund an, duckten sich unter der Schranke durch und rannten die Treppe hoch ins Warme.
Ursula schenkte ihnen Kaffee ein und zog eine Tüte Zimtschnecken aus dem Schrank. Dankbar wärmten die drei ihre Hände an den heißen Tassen. Ursula betrachtete sie zufrieden und nahm sich eine Zimtschnecke.
»Wo habt ihr denn Sara gelassen?«, erkundigte sie sich mit vollem Mund.
Die Jungs wechselten einen vielsagenden Blick.
»Sie wollte wohl noch ins Theater«, sagte Oskar. »Im Augenblick scheint sie für gar nichts anderes mehr Zeit zu haben . . .«
Als sie das hörte, wurde Ursula mit einem Mal sehr ernst.
»Ich verstehe immer noch nicht, warum sie dieses alte Stück unbedingt aufführen müssen. Das bringt doch nur Unglück.«
Das hatte Ursula nun schon öfter gesagt, aber Karl begriff immer noch nicht, was es bedeuten sollte.
»Was meinst du damit?«, fragte er.
»Kennt ihr die Geschichte vom Fluch des Stückes gar nicht?«
Alle drei Jungen schüttelten den Kopf.
»Okay. Dann will ich sie euch erzählen …«
Das verfluchte Theaterstück
»Einst lebte ein schüchternes Mädchen auf Hundarö. Ingrid war die jüngste Tochter einer armen Bauernfamilie und sie schuftete von morgens bis abends, von Montag bis Samstag. Nur sonntags nicht, da hatte sie frei und die ganze Familie fuhr mit dem Boot nach Krabbsjögrund, um in die Kirche zu gehen.
An einem dieser Sonntage sollte im Theater der Stadt ein Stück aufgeführt werden und man brauchte noch Schauspieler. Also stand der Theaterleiter und Regisseur August Ekehorn auf dem Markplatz und versuchte, die Passanten zu überreden, sich auf seiner Liste einzutragen. Als Ingrid mit ihrer Familie vorbeikam, spielte er gerade eine kleine Szene vor.
Ingrid war wie verzaubert. Noch nie hatte sie etwas Vergleichbares gesehen.
Was für eine Möglichkeit, einfach in die Rolle eines anderen zu schlüpfen! Wie gerne hätte sie das selbst einmal ausprobiert! Nur ein Mal . . . Prinzessin sein oder Zauberer oder etwas ganz anderes – nur nicht mehr das arme Bauernmädchen von Hundarö!
Ehe sie jemand daran hindern konnte, lief sie zur Liste und trug sich ein.
August Ekehorn verlangte seiner Truppe viel ab, aber Ingrid liebte jede Sekunde. Sie kam bei jeder Probe als Erste und verließ das Theater immer als Letzte.
Zu Hause arbeitete Ingrid noch härter, damit ihre Familie nicht unter ihrer Abwesenheit zu leiden hatte. Doch irgendjemand musste ja trotzdem erledigen, was sie nicht geschafft hatte, und irgendjemand musste sie mehrmals in der Woche in die Stadt rudern und wieder abholen. Aber niemand beschwerte sich darüber, denn alle sahen, wie glücklich das Theater sie machte.
Das Stück, das aufgeführt werden sollte, hieß
Ein Haus am Meer
. Es handelte von einem jungen Mädchen mit dem Namen Lilly und ging zurück auf die alte Legende von der Gründung Krabbsjögrunds.
Nur, dass ein Fluch auf diesem Theaterstück lag, das ahnte damals niemand.
Erst im Nachhinein wurde deutlich, dass man schon von Anfang an hätte Verdacht schöpfen müssen. Schon am selben Abend, an dem man beschlossen hatte, das Stück aufzuführen, war der Hausmeister des Theaters gestolpert und hatte sich das Bein an einer scharfen Kante aufgeschnitten. Er hatte viel Blut verloren und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Verwirrt und halb bewusstlos murmelte er, er habe ein Gespenst gesehen. Aber noch sah niemand einen Zusammenhang mit dem Theaterstück. Das geschah erst viel später.
Die allerletzte Rolle, die noch besetzt werden musste, war die der Lilly. Mehrere hoffnungsvolle Mädchen setzten alles daran, Ekehorn aufzufallen. Nur Ingrid nicht. Sie war schüchtern und hatte wenig Selbstvertrauen, schließlich hatte sie noch nie Theater gespielt. Sie stellte sich darauf ein, eines der Geschwisterkinder zu werden.
Davon abgesehen hatte die Truppe zunächst ganz andere Probleme. Man munkelte, dass seltsame Dinge im Theater vorgefallen waren. Jemand behauptete, er habe Stimmen aus einem Raum gehört, in dem gar niemand war, und eine andere schwor, sie habe ein zweites Gesicht neben ihrem eigenen im Schminkspiegel gesehen.
Aber ungeachtet dessen wurden die Proben fortgesetzt. Die Premiere sollte am Silvesterabend über die Bühne gehen und alle waren eingeladen – vom Kirchendiener auf der anderen Seite des Moores bis zum Fischer vom nördlichsten Zipfel Hundarös .
Ingrid wünschte sich sehr, dass ihre Familie
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