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Das Grab im Moor

Das Grab im Moor

Titel: Das Grab im Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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im Licht der Straßenlaternen.
    »Er hat von einem Schlüssel gesprochen. Vielleicht kann der uns den Weg weisen.«
    Wieder die Stimme der Frau! Sie klang traurig.
    Der Lichtstrahl fiel auf die Bilder, die im Treppenhaus hingen: eine alte Seekarte von 1857, ein paar Drucke von Schiffen und das Hochzeitsfoto seiner Großeltern.
    Seit seine Großmutter gestorben war, strich Karl jedes Mal, wenn er an dem Bild vorbeiging, ganz leicht über den Rahmen. Es war wie ein Gruß an sie, wo immer sie jetzt sein mochte. Großvater und Großmutter standen vor dem Kirchenportal und lächelten in die Kamera.
    Karl fand es schwer vorstellbar, dass eine Person plötzlich nicht mehr existierte. Auf dem Bild lächelte sie doch noch und der Wind spielte mit ihrem weißen Schleier. Sie schien so lebendig, dass er kaum glauben konnte, dass die Frau auf dem Bild nicht mehr in der Lage war zu denken, dass sie keine Pfannkuchen mehr buk und dass sie Karl nicht mehr über die Wange streichelte, wenn er schlafen sollte.
    Er beugte sich vor, um ihr Gesicht besser sehen zu können. Da wurde er von der Frauenstimme, die plötzlich wieder deutlich zu hören war, aus seinen Gedanken gerissen.
    »Hört ihr? Sie kommen. Ich spüre ihre Kälte. Wir müssen uns beeilen!«
    Und als Karl jetzt das Bild seiner Großmutter betrachtete und gleichzeitig diese Stimme hörte, glaubte er, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
    Unten im Wohnzimmer redete seine tote Großmutter.

Kapitel 11

    Karl musste sich auf der Stelle hinsetzen. Wie war das möglich? Großmutter ist ein Gespenst, schoss es ihm durch den Kopf. Ein Geist. Sie ist zurückgekommen, um . . . Ja, warum? Hatten Geister nicht für gewöhnlich unerledigte Aufgaben zu vollenden und fanden deshalb keine Ruhe?
    »Jetzt komm schon!«, sagte sie. »Wir können hier nicht bleiben! Sie können doch jeden Moment da sein!«
    Redete sie mit Großvater? Oder . . . sprach sie vielleicht doch mit ihm? Sollte er zu ihr kommen?
     
    Karl zitterte so, dass ihm der ganze Körper wehtat. Er
musste
es herausfinden. Er musste wissen, was hier eigentlich vor sich ging. Er musste Gewissheit haben.
    Aus dem Wohnzimmer drang Licht. Ein schwacher Schein, der trotzdem seltsam beruhigend wirkte. Mit wackeligen Beinen stand er auf und schlich zur Tür. Großvater saß in seinem Sessel. Karl konnte nur seine karierten Pantoffeln sehen, aber das genügte, um sich sofort viel sicherer zu fühlen. Er war nicht alleine. Großvater war auch da. Da erklang die Stimme erneut.
    »Man muss sich die Hilfe verdient haben. Aber woher soll man wissen, ob es so ist?«
    Moment mal . . . das klang doch wie etwas, das Karl erst vor Kurzem noch gehört hatte. Nur, in welchem Zusammenhang?
    Karl schlich sich noch näher an die Tür. Er wollte versuchen herauszufinden, wo seine Großmutter stand. Aber er konnte nichts sehen. Sie musste ganz hinten am Bücherregal sein, dort, wo das alte Tonbandgerät, das . . .
    Aber das Band auf dem Abspielgerät bewegte sich ja! Mit einem knisternden Geräusch rollte es an den Tonköpfen vorbei. Und jetzt bemerkte Karl auch das Hintergrundrauschen.
    »Sie kommen! Wir müssen etwas unternehmen!«
    Schwache Nebengeräusche waren zu hören. Ein Stuhl, der über den Boden kratzte. Ein leises Husten. Karl entspannte sich. Seine Großmutter spukte nicht herum. Was er gehört hatte, war nichts anderes als eine alte Tonbandaufnahme des Theaterstücks, in dem seine Großeltern damals mitgespielt hatten.
    Aber dann hatte Großmutter ja doch dieselbe Rolle gespielt wie Sara. Was sie auf dem Band gesagt hatte, war Lillys Text.
    Lautlos zog Karl sich wieder in die Diele zurück.
    Er hörte, wie das Tonband vorgespult wurde und das Knarren des Sessels, als Großvater sich wieder setzte. Dann startete das Band erneut, aber dieses Mal an einer anderen Stelle des Stückes.
    »Ich will nicht, dass du dorthin gehst«, klang Großvaters jüngere Stimme vom Band. »Was ist, wenn du nicht zurückkommst?«
    Für einen Moment blieb es still, dann fuhr er fort: »Geh nicht. Bitte.«
    Karl stellte sich auf die unterste Treppenstufe. Von dort aus konnte er seinen Großvater beobachten, ohne selbst gesehen zu werden.
    Großvater saß im Sessel und starrte vor sich hin. Tränen liefen ihm die Wangen hinunter. Und seine Lippen bewegten sich zu der Stimme vom Band.
    »Geh nicht. Verlass mich nicht.«

Kapitel 12

    Karl war noch nie im Winter auf Hundarö gewesen, aber Oskar und Sebastian behaupteten, dass es einen ziemlich

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