Das Grab im Moor
räusperte sich.
»Ich sehe niemanden graben, aber die Spatenstiche werden immer lauter und lauter . . . und dann . . . dann merke ich plötzlich, dass ich das Amulett aus dem Theaterstück bei mir habe. Aber es ist das echte Amulett. Das aus der Sage. Aus einem Holz, das uralt und fast schwarz ist. Wie Schwarzeiche.«
Sara seufzte schwer.
»Jetzt hältst du mich sicher endgültig für übergeschnappt, stimmt's? Aber es kommt mir vor, als könnte ich sie nicht abschütteln . . . also Lilly. Es ist, als wäre sie eingezogen. Hier rein.«
Sara tippte auf ihre Stirn. Sie trank einen Schluck heißen Kakao und seufzte wieder.
»Du . . . ich hab eine Idee, wer uns vielleicht helfen kann«, murmelte Karl. »Jemand, der genau weiß, wie du dich fühlst.«
Kapitel 18
An manchen Wintertagen wird es überhaupt nicht richtig hell. Der ganze Tag kriecht in einer einzigen langen Dämmerung dahin – als fehle der Sonne die Kraft, rechtzeitig aufzugehen, bevor sie schon wieder untergehen muss.
Schweigend folgten Karl und Sara dem kleinen Weg, der ins Moor führte. Hier kam es ihnen wärmer vor als in der Stadt. Es lag kaum mehr Schnee und die verrottenden Blätter und Pflanzen machten den Boden schlammig und rutschig. Karl war diesen Weg zwar erst ein einziges Mal gegangen, aber er wunderte sich trotzdem, dass ihm alles so fremd vorkam. Das Moor sah viel dunkler und dichter aus als das letzte Mal und der Pfad wirkte schmaler, als würden die Zweige und Büsche sich nach ihnen ausstrecken. Er ließ Sara vorgehen, sie kannte sich besser aus.
Karl trat auf einen Ast und schreckte mit dem Knacken einen Schwarm Krähen auf. Das Einzige, was zu hören war, waren ihre Flügelschläge. Er sah ihnen nach. Schon möglich, dass er ein echtes Stadtkind war, aber dort, wo er herkam, krächzten die Krähen auch im Winter.
»Wieso liegt hier kein Schnee?«, wunderte er sich.
Karl war sich ganz sicher, dass der Boden weiß gewesen war, als er das letzte Mal mit seinem Großvater hier entlanggekommen war.
»Ich glaube, es liegt an der Feuchtigkeit«, sagte Sara. »Es kommt mir hier irgendwie wärmer vor.«
Unvermittelt blieb sie stehen. Vor ihnen teilte sich der Weg in zwei kleinere Pfade. Der eine führte über einen schmalen Steg und der andere schlängelte sich zwischen Bäumen und matschigen Pfützen weiter. Karl kannte sich überhaupt nicht mehr aus. Er hatte das Gefühl, dass sie eigentlich schon längst hätten da sein müssen.
»Weißt du, wo wir sind?«, fragte er vorsichtig.
Sara antwortete nicht, sondern entschied sich hastig für den Pfad, der durch die Bäume führte. Auch hier lag überhaupt kein Schnee mehr und alle Stämme und Blätter waren schwarz. Karl folgte Sara.
Kaum zehn Minuten später blieben sie stehen. Sie standen an derselben Stelle, an der der Weg sich zuvor geteilt hatte, und mussten abermals wählen, über den Steg zu gehen oder zwischen den Bäumen hindurch. Verblüfft hob Sara die Augenbrauen. Karl zuckte mit den Schultern und schlug den Weg über den Steg ein, Sara tat es ihm gleich.
»Ich verstehe das nicht«, murmelte sie. »Ich bin doch schon hundertmal hier gewesen . . .«
Karl konnte sich nicht daran erinnern, auf dem Weg zu Englas Häuschen mit Großvater über einen Steg gegangen zu sein, aber es schien ihm nur logisch, dieses Mal den anderen Weg auszuprobieren, statt wieder dem ersten zu folgen.
Der Pfad führte sie auf die Kuppe eines kleinen Hügels und wieder bergab. Und schon . . . schon waren sie zurück an der Stelle, an der der Weg sich teilte . . .
»W-was soll das?«, flüsterte Sara. »Das ist doch totaler Wahnsinn. Das ist unmöglich.«
Karl versuchte sich zu konzentrieren. Die Vögel verstummten, die Tiere wurden verrückt und das Moor fing an, sie in die Irre zu führen. Das war noch immer genau so wie in der Sage. Er holte tief Luft und lief dann entschlossen geradewegs ins Moor hinein, genau zwischen den beiden Pfaden hindurch. Sara sagte nichts, aber sie folgte ihm. Konzentriert sprangen sie von Grasbüschel zu Grasbüschel. Etwa zwanzig Minuten später entdeckten sie Englas Häuschen hinter den Bäumen und Karl hätte vor Erleichterung am liebsten laut gelacht.
Fragend sah Sara ihn an.
»Woher wusstest du das?«
Karl zuckte die Schultern.
»Keine Ahnung. Es war das Einzige, was mir eingefallen ist.«
Nicht weit entfernt schimmerte der Klarsee. Für einen Moment glaubte Karl, dass er wirklich leuchtete. Er blinzelte ein paarmal, bis ihm
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