Das Grab in der Hölle
nachgesetzt habe?«
Als wir nickten, fuhr er fort. »In diesem Augenblick hatte ich eine schreckliche Vision. Ich sah unsere Wohnung, wo meine Mutter vor dem Fernsehapparat sitzt. Das macht sie immer, wenn ein Kampf von mir übertragen wird. Plötzlich öffnete sich die Tür und dieser De… also der Henker trat ein. Er hatte sein Schwert gezogen.« Seine Stimme wurde lauter, hektischer. »Ich… ich sah es deutlich. Er schlich sich an meine Mutter heran, hatte sein Schwert hoch erhoben und dann…« Nick Spiro verstummte. In seinen Augen glitzerte es feucht, als er uns anschaute und sich aufsetzte. »Verdammt, wir müssen zu ihr.«
Ich streckte den Arm aus. »Moment«, sagte ich ruhig. »Hat Ihre Mutter Telefon?«
»Ja.«
»Dann rufen wir an. Wie ist die Nummer.«
Bill schrieb sie mit, während ich den Raum verließ und mich an Herb, den Trainer, wandte. Bevor er Fragen stellen konnte, erkundigte ich mich nach einem Telefon.
»Ja, hier in der Nähe ist eine Haube. Kommen Sie mit.«
Wir brauchten nur ein paar Schritte zu gehen. Ich stellte mich unter die Haube und tippte die Nummer in die Tastatur. Sehr schnell wurde abgehoben. Ich wollte schon aufatmen, als ich eine sonore Stimme vernahm.
»Hier bei Spiro. Am Apparat ist Sergeant Mallory.«
Da wusste ich, dass etwas Fürchterliches passiert sein musste. Und mir lief eine kalte Gänsehaut über den Rücken…
***
Ich hatte Nick Spiro nichts gesagt. Verdammt, ich konnte es einfach nicht übers Herz bringen, aber irgendwann in den nächsten Minuten musste ich mit der Sprache heraus.
Wir saßen in meinem Bentley. Bill hatte neben mir Platz genommen, Suko und Nick belegten den Fond. Es war wirklich eine Qual, durch London zu kommen. Sämtliche Kraftfahrer der Millionenstadt schienen auf den Beinen beziehungsweise Rädern zu sein.
Ich atmete erst auf, als ich mich in der Nähe der Themse befand. Wir mussten über den Fluss und benutzten dafür die Blackfriars Bridge.
Nebenan rauschte auf einer schmalen Extrabrücke der Schienenverkehr vorbei.
Ein Zug passierte uns. Die im Inneren erleuchteten Wagen wirkten wie eine Schlange aus Metall.
Mir schwirrten jetzt noch die Worte des Polizisten im Kopf herum. Eine Nachbarin, die den Kampf ebenfalls gesehen und die Witwe Spiro trösten wollte, hatte die Tote entdeckt. Die hilfsbereite Frau war mit einem Nervenzusammenbruch in ein Krankenhaus eingeliefert worden.
Sie hatte nicht nur den Kopf der Toten gesehen, sondern auch deren Torso. Es muss grauenhaft gewesen sein.
Aber wie sollte ich es Nick beibringen. Suko und Bill hatte ich durch ein Zeichen zu verstehen gegeben, dass die Frau nicht mehr lebte. Nick würde durchdrehen, wenn er seine Mutter sah. Vielleicht ahnte er auch etwas. Ich hatte ihm nur gesagt, dass wir zur ihm nach Hause fahren würden.
Umgezogen war er. Allerdings trug er nur einen weinroten Trainingsanzug mit dem Aufdruck einer bekannten Sportfirma. Wir sprachen nicht, außerdem musste ich mich auf den Verkehr konzentrieren.
Schließlich brach der Boxer das Schweigen. »John, seien Sie ehrlich. Was ist geschehen?« Seine Stimme klang kratzig.
Konnte ich jetzt noch lügen? Ich atmete tief ein. Er musste es wohl gehört haben und sagte: »Reden Sie doch, Mann.«
»Also gut. Ihre Mutter…«
»Sie ist tot, nicht?«
Als Antwort nickte ich. Worte wollten mir einfach nicht über die Lippen dringen. Dann bremste ich, weil eine Ampel uns aufhielt.
Ich hörte Nick Spiro stöhnen. Es waren verzweifelte Laute, die mir durch Mark und Bein fuhren. Das Stöhnen endete in einem hilflosen Schluchzen. Dann klatschte etwas hart auf den Sitz. Nick hatte mit der Faust zugeschlagen. »Ich habe es geahnt!« flüsterte er. »Verdammt noch mal, ich habe es geahnt.«
Suko und Bill schwiegen. Keiner von uns hatte etwas zu sagen. Wir mussten den jungen Boxer in seinem Schmerz allein lassen.
Ich fuhr wieder an. Wo die Straße lag, hatte mir Nick erklärt. So gut kannte ich mich in den Fabrikvierteln südlich der Themse nicht aus, dafür kannte ich die Innenstadt, die City, wie meine eigene Westentasche.
Eine Weile sagte er gar nichts mehr, während ich meinen Bentley in die Schlange vor uns einreihen musste. Schließlich fragte Nick: »Ist sie auf die gleiche Art und Weise umgekommen, wie ich es geträumt habe?«
»Ich glaube.«
»Dann war der Henker bei ihr?«
»Es sieht so aus.«
»Aber wie ist das möglich?« schrie Nick. »Wie kann eine Gestalt, die nur im Traum existent ist, auf die Erde kommen und töten?
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