Das Grab - Roman
musste, ob sie den Fremden, der an den anderen Morgen im Park gewesen war, grüßen oder meiden sollte.
Auf dem Rückweg machte sie bei der Bäckerei halt und kaufte zwei Doughnuts. Als Ace aufstand, hatten sie ein langes, gemütliches Frühstück.
Dann fuhr sie mit Ace zum Laden. Ace schloss auf, und Vicki stöberte lange in den Regalen und Kleiderständern und kaufte sich schließlich Shorts, ein weites Baumwollhemd und einen knappen weißen String-Bikini – alles abzüglich der 20 Prozent Quacksalber-Rabatt.
Danach kehrte sie ins Haus zurück und verbrachte Stunden damit, faul herumzusitzen, in medizinischen Zeitschriften zu lesen und – zur Erholung – hin und wieder in einem Krimi zu schmökern. Ace kam früh nach Hause, weil Jennifer im Laden allein die Stellung hielt, und sie schlüpften beide in ihre Bikinis, um etwas Sonne zu tanken.
Alles in allem eine sehr angenehme Art, einen Samstag zu verbringen. Vicki konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal einen so friedlichen, entspannten Tag erlebt hatte.
Während sie in der Sonne lag und darüber nachdachte, hörte sie, wie die Dusche rauschte. Obwohl sie nicht gerade versessen drauf war, sich vom Fleck zu bewegen, entschloss sie sich, ebenfalls zu duschen, sobald Ace fertig war. Das Wasser würde sich richtig gut anfühlen.
Der Plan für den weiteren Verlauf des Nachmittags sah vor, mit ein paar Margaritas abzuhängen und dann allmählich den Grill anzuwerfen und Hamburger zu brutzeln. Dann würden sie in die Stadt fahren, zwei oder drei Filme aus der Videothek leihen und den Abend vor dem Fernseher verbringen. Ein guter Plan. Ein perfekter Plan.
Das Telefon klingelte.
Und Ace stand unter der Dusche.
Mit einem Seufzen stemmte sie sich vom Liegestuhl hoch. Sie rannte barfuß über die Terrasse, riss die Fliegengittertür auf und eilte durch die Küche zum Wandtelefon. Sie riss den Hörer von der Gabel.
»Hallo?«
»Wer ist dran?« Eine Männerstimme, die ihr bekannt vorkam.
»Vicki. Alice kann im Augenblick nicht ans Telefon. Kann ich ihr was ausrichten?«
»Hi, Vicki.« Zu bekannt.
»Melvin?«
»Dachte ich mir, dass ich dich hier erwische. Wie geht’s?«
Bis gerade eben noch ganz gut. »Okay. Ich möchte, dass du bei der Praxis vorbeischaust und deinen Wagen mitnimmst.«
»Ich hab keine Verwendung für ihn. Du kannst ihn behalten.«
»Ich will ihn nicht, Melvin. Ehrlich. Ich weiß dein Angebot zu schätzen. Es war sehr nett von dir, aber bitte nimm ihn wieder mit.«
»Er gefällt dir nicht? Möchtest du einen anderen?«
»Dem Wagen fehlt nichts. Aber ich kann ein solches Geschenk nicht annehmen – nicht einmal geliehen, okay? Wenn du ihn also bitte wieder abholen würdest, wäre ich …«
»Das geht nicht. Du hast die Schlüssel.«
Du hast sie mir in den Ausschnitt geworfen.
»Hast du keine Ersatzschlüssel?«, fragte sie.
»Nein.«
»Okay. Dann bringe ich den Wagen zur Tankstelle.«
»Ich bin zu Hause. Willst du ihn sofort vorbeibringen?«
»Ich kann jetzt nicht. Ich hab noch ’ne Menge zu tun. Ich bringe ihn irgendwann bei der Tankstelle vorbei,
vielleicht morgen oder am Montag. Okay?«
»Okay.« Er klang enttäuscht. »Vicki?«
»Ja?«
»Es tut mir leid. Ich wollte dir nur helfen. Ich dachte
nur, du könntest einen Wagen brauchen. Ich wollte dir
keine Schwierigkeiten machen. Schätze, das hab ich verbockt, oder?«
»Nein, du hast nichts verbockt.«
»Bist du sauer auf mich?«
»Nein. Du wolltest nur nett sein. Ich verstehe das. Aber solche Geschenke kann ich nicht annehmen.«
»Von mir, meinst du.«
»Egal von wem. Mach dich deswegen nicht fertig, Melvin. «
»Warum nicht? Alle andern tun es doch auch.«
»Ich muss jetzt wirklich auflegen. Ich wünsch dir noch einen schönen Abend.«
»Ich dir auch.«
»Bye.« Sie legte auf, sank gegen die Wand und murmelte: »Warum ich, lieber Gott?«
Als sie hörte, dass das Wasser in der Dusche zugedreht wurde, ging Vicki in ihr Zimmer. Sie angelte ihren Bademantel vom Haken, setzte sich aufs Bett und überlegte, was sie mit Melvin machen sollte.
Die Geschichte mit dem Auto würde nicht das Ende vom Lied sein.
Was kam als Nächstes? Würde er ihr Blumen schicken und um ein Date bitten?
Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben, verdammt nochmal. Aber sie wollte ihn auch nicht verletzen. Schließlich hatte er sein ganzes Leben lang nur einstecken müssen.
Durch die offen stehende Tür sah sie, dass Ace aus dem Bad kam. Sie hatte ein Handtuch um den Kopf gewickelt.
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